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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/104

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befand sich in seinem Hauptquartier Struppen, woselbst er eben erst aus Böhmen eingetroffen war. Nach einigen Zwischenfällen erfolgte Sonnabend, den 16. Oktober Nachmittags der Abschluß der Kapitulation, zufolge deren die sächsische Armee, 31 Bataillone, 32 Eskadrons und 49 Geschütze in einem Effektivbestande von noch 18,177 Mann und 3585 Pferden, sich an Se. Majestät in Preußen „als kriegsgefangen“ ergab. Mit dem Begriffe der Kriegsgefangenschaft war es preußischerseits vereinbar gefunden worden, die Bestimmung hinzuzufügen, daß die gesammte Mannschaft der preußischen Armee einzuverleiben sei. Die Generale, Stabs- und Oberoffiziere hatten sich schriftlich zu reversiren, bis zur Herstellung der Ruhe nicht gegen Ihre Kgl. Majestät in Preußen die Waffen zu führen, behielten aber ihre Degen.

Sonntag, den 17. Oktober, Vormittags 10 Uhr marschirten die Sachsen von der Liliensteiner Ebenheit durch den obenerwähnten Verhau ab und in der Nähe von Waltersdorf vor dem daselbst zu Pferde haltenden Könige von Preußen vorbei, bei welcher Gelegenheit die Generale vom Pferde stiegen und der Feldmarschall Graf Rutowski sich und alle Uebrigen als Sr. Majestät Kriegsgefangene erklärte. Der König begrüßte sie freundlich und ersuchte sie, ihn in Struppen zu erwarten. Die Waffenstreckung der Mannschaften, von denen ihre Offiziere getrennt worden waren, erfolgte nach Passirung einer Schiffsbrücke am nämlichen Tage auf dem linken Elbufer vor Ober-Rathen.

Es ist bekannt und hier nicht der Ort, Einzelheiten davon zu geben, daß mit der Beeidigung der sächsischen Regimenter auf die preußischen Kriegsartikel es keineswegs glatt vor sich ging, vielmehr bei vielen Abtheilungen es bei einem Versuch der Eidesabnahme blieb. Mit den nächsten Tagen nach der Katastrophe beginnend, haben dann nach und nach Tausende sächsischer Soldaten, theils einzeln, theils in geschlossenen Abtheilungen sich selbst ranzionirt, indem sie nach Polen und Böhmen sich durchschlugen[1].

Was den Generalmajor von Gersdorff betrifft, so war derselbe durch den von ihm auf Ehrenwort ausgestellten Revers, bis zur Herstellung des Friedens nicht gegen Preußen dienen zu wollen, während der ganzen Dauer des siebenjährigen Krieges zur Inaktivität verurtheilt. Gleich den übrigen (im Ganzen 22) kriegsgefangenen Generalen durfte er seinen Wohnsitz innerhalb Sachsens selbst bestimmen. Erklärlicher Weise fiel seine Wahl auf das von seiner Gemahlin ihm zugebrachte Rittergut Nieder-Rengersdorf bei Görlitz[2]. Ein von ihm auf Befehl Rutowski’s unterm 20. Januar 1757 erstatteter Rapport über seine Mission nach dem Königsteine vom 14. Oktober 1756 ist von „Rengersdorf“ datirt[3]. Sein, ebenfalls das Datum des 20. Januar 1757 tragendes Ueberreichungsschreiben zu diesem Rapporte enthält außerdem noch die Besprechung eines in Petersburger, Hamburger und Altonaer Blättern im Dezember 1756 veröffentlichten, die Ehre der sächsischen Generalität schwer verunglimpfenden, von Brühl inspirirten Zeitungsartikels, welchen er ebenso wie den Urheber der Publikationen in charakter- und geistvoller Weise einer herben Kritik unterwirft[4].

Die kriegsgefangenen Offiziere vom Obersten abwärts wurden in vier bestimmten kleineren Städten internirt. Traktament erhielt Niemand. Die Mehrzahl von ihnen litt bitteren Mangel.

Dies war nun bei Gersdorff nicht der Fall. Bei der Generosität, die unter allen Verhältnissen ihn auszeichnete, ist zu vermuthen, daß er von Rengersdorf aus manchem armen sächsischen Offiziere in den nicht allzu fernen Detentionsorten Guben und Lübben ein Nothhelfer gewesen sei. Die gerade in der Görlitzer Gegend häufigen preußischen, beziehentlich österreichischen und russischen Truppendurchmärsche und Ansammlungen, die schweren Kontributionen, auch kriegerische Ereignisse in der Nähe, das Alles mag die Thätigkeit und die Geldmittel des Guts- und Gerichtsherrn von Nieder-Rengersdorf stark in Anspruch genommen haben.

Nach dem Abschlusse des Hubertusburger Friedens (15. Februar 1763) war der König-Kurfürst (der am 20. Oktober 1756 vom Königstein nach Warschau sich begeben hatte) mit dem Grafen Brühl nach Dresden zurückgekehrt; an die Stelle Rutowski’s war der zum Generalfeldmarschall beförderte Chevalier de Saxe getreten. Die nach jeder Hinsicht schwere Aufgabe, die Armee neu zu organisiren, löste derselbe, wie hier eingeschaltet werden mag, binnen einer kurzen Reihe von Jahren mit ebensoviel Geschick als verständnißvoller Rücksichtnahme auf die Verhältnisse des durch den Krieg finanziell ruinirten Landes.


  1. Im Frühjahr 1758 war aus diesen, in Oesterreich untergebrachten sogen. „Revertenten“ ein Korps von 10,000 Mann organisirt, welches unter der vom Kurfürsten gestellten Bedinggung, nicht gegen den König von Preußen geführt zu werden, in den Dienst des Königs von Frankreich trat und in diesem Verhältnisse unter der Führung des Prinzen Xaver bis zum Ende des siebenjährigen Krieges verblieb. Nach ihrer Rückkehr bildeten diese Truppen und die in Polen gestandenen vier Reiter-Regimenter, welche auf österreichischer Seite am Kriege theilgenommen und u. A. zu dem Siege bei Kolin (18. Juni 1757) den Ausschlag gegeben haben, den Kern für die Neuorganisation der sächsischen Armee.
  2. Es liegt in der Richtung nach Niesky zu und ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, bei Marklissa gelegenen Gute.
  3. Wörtlich bei Graf Vitzthum a. a. O. II S. 444–450.
  4. Vgl. Vitzthum a. a. O. II S. 310 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/104&oldid=- (Version vom 25.7.2024)