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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

80 206. 207. Klangreihensysteme.


1. Die Anordnung nach Klangreihen.

206. Die ältesten Versuche einer Reihenordnung der Vocale gingen nicht sowohl von einer Untersuchung der verschiedenen Articulationsstellungen aus, als von einer Betrachtung der Klangunterschiede der einzelnen vocalischen Laute. Erst in zweiter Linie wurden dann auch die Articulationsstellungen geprüft und ihr Verhältniss zu den verschiedenen Klangqualitäten untersucht. Man nahm diesergestalt an, dass die indogermanische Ursprache nur drei bestimmte ‘Vocalqualitäten’ besessen habe, a, i, u (was beiläufig durch die neueren Untersuchungen über indogermanischen Vocalismus als irrig erwiesen ist. Auch innerhalb der complicirteren Vocalsysteme der modernen Sprachen schienen diese drei Laute, als ‘die entschiedensten und stärksten Gegensätze vocalischer Klangfarbe’ darstellend, besonders hervorzutreten. Ihr Verhältniss und ihre relative Lage musste also zuerst fixirt werden, damit auch den zwischenliegenden Vocallauten ihre Stellung im ‘System’ richtig angewiesen werden konnte.

207. Zunächst pflegte man diese ‘drei Grundpfeiler’ des Vocalismus ungefähr in Gestalt einer Pyramide oder eines gleichseitigen Dreiecks mit dem a an der (unteren, oberen oder seitlichen) Spitze zu gruppiren, damit andeutend, dass zwischen je zweien derselben (ia, au, ut) ein gleicher Abstand vorhanden sei. Die übrigen Vocale wurden zwischen denjenigen Lauten eingetragen, zwischen welchen sie ihrem Klange nach eine Art Mittelstufe zu bilden schienen, also e zwischen a und i, o zwischen a und u. Durch weitere Ausbildung dieser zuerst von Hellwag (1781) in der Form

u ü i
o ö e
å ä
a

aufgestellten Pyramide (näheres bei Vietor, Phonetik4 41 ff.) gewann zuletzt Brücke folgendes Schema:

a
aᵉ aᵒ
eᵃ aᵒᵉ oᵃ
e eᵒ oᵉ o
i iᵘ uⁱ u

(aᵉ bezeichnet hier ein dem a nahestehendes ä, eᵃ das gewöhnliche ä oder offene e u. s. w.).

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/100&oldid=- (Version vom 25.5.2022)