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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

90 237. Die Vocale: 2. Das Eigentonsystem.


Vocalsystem, welches die Hauptlaute der bekannteren Sprachen enthalte. Ein solches gewinnt er auf Grund der Vergleichung der wichtigsten Vocallaute insbesondere des Deutschen, Französischen und Italienischen nach ihrer mustergültigen Aussprache. Diese Sprachen liefern ihm zunächst drei Reihen von je 4 Vocalen, welche ungefähr den drei Halbreihen bei Winteler entsprechen, nur noch durch eine vierte Reihe ergänzt werden (vgl. 231). Setzen wir statt der besonderen Zeichen Trautmann’s die oben verwandten Typen mit Zahlexponenten, so gewinnt Trautmann’s System die Gestalt:

ü¹
ö¹
ö²
u¹ o¹ o² a & e² e¹ i¹
ȯ²
ȯ¹
¹

Von dem System Winteler’s unterscheidet sich dasselbe, abgesehen von der Annahme der vierten Reihe, dadurch, dass nur einerlei u, i, ü () angesetzt werden, während Winteler auch diese Vocale in je zwei Abtheilungen zerlegt.

237. Charakteristisch ist für Trautmann’s System die Begründung. Auch er findet, dass sein System eine Ordnung der Vocale nach ihrer Articulationsverwandtschaft enthalte. Seine Vocalreihen sind ihm aber nicht nur Articulationsreihen, sondern stellen zugleich harmonische Reihen von Eigentönen dar. Die Eigentöne der Reihe u¹ o¹ o² a bilden nach ihm zusammen den Septimenaccord ghdf₃, die der Reihe & e² e¹ i¹ einen Septimenaccord, der genau eine Octave höher liegt als der erste, also ghdf₄. Die Eigentöne von ö² ö¹ ü¹ sind dieselben wie die von & e² e¹, die von ȯ² ȯ¹ ¹ dieselben, wie die von a o² o¹. Dies vierzehnvocalige System wird sodann erweitert durch die Annahme von Zwischenvocalen, die sowohl was den Eigenton als die Mundstellung betrifft, genau die Mitte zwischen zwei (Grundvocalen halten, ferner durch die Annahme von Nebenvocalen, die durch Beimischung mehr oder minder geräuschartiger Oberhalle (Hall = Eigenton) charakterisirt sind, welche ihrerseits darauf beruhen, dass das Ansatzrohr an einer gewissen Stelle etwas eingeengt wird, und demnach in Vordergaumen-, Hintergaumen-, Gaumensegel-, Rachen- und KehlNebenvocale zerfallen.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/110&oldid=- (Version vom 27.5.2022)