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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

61. Die Respirationsverhältnisse. 23


(dem Stromdruck) hängt dann wiederum primär die Stärke der einzelnen sprachlichen Gebilde ab, welche in den betreffenden Momenten hervorgebracht werden (Laute, Silben, Worte etc.). Dabei ist indessen nicht zu übersehen, dass die (primäre) Druckstärke, mit welcher die Luft aus den Lungen in das Sprachorgan eingetrieben wird, nicht immer allein massgebend ist für die Stärke des specifischen Klanges eines Lautes. Bei einem Laut wie f wirkt z. B. der Druckstrom mit voller Stärke auf die ihm an den Lippen und Zähnen entgegengestellten Hemmnisse ein, und das Reibungsgeräusch des f ist daher entsprechend kräftig. Anders bei v. Bei diesem Laute wirkt die Stimme mit. Durch den Widerstand, welchen der Druckstrom hier bereits im Kehlkopf findet, wird ihm ein Theil seiner Kraft geraubt, er arbeitet also an der Hemmungsstelle des Mundes nur noch mit verminderter Kraft (secundärer Druckstärke); daher ist das Reibungsgeräusch des v verhältnissmässig schwächer als das eines f, welches mit gleichem primären Druck von Seiten der Lungen aus gebildet wird (auch abgesehn davon, dass bei v die mittönende Stimme das Reibungsgeräusch noch zum Theil verdeckt). Man muss sich möglichst bald daran gewöhnen, diese secundäre Druckstärke von der primären streng zu unterscheiden. In der Regel wird es genügen, Lungendruck (= primäre Druckstärke) und Ansatzrohr- oder Munddruck (je nachdem = primärer oder secundärer Druckstärke) auseinander zu halten.

61. Direcete Messungen der Druckstärke lassen sich nur in verhältnissmässig seltenen Fällen ausführen. Am leichtesten sind sie noch bei den Verschlusslauten (besonders den Labialen) und bei Reibelauten mit starker Engenbildung vorzunehmen. Der einfachste Demonstrationsapparat dazu ist eine U-förmig gebogene, zu etwa einem Drittel mit Wasser gefüllte Glasröhre, an deren einem Ende ein dünner Kautschukschlauch befestigt ist. Das andere Ende dieses Schlauches wird in den Mund eingeführt, bis hinter den Verschluss oder die schallbildende Enge. Man sieht übrigens leicht, dass bei diesem Verfahren nur der Munddruck gemessen werden kann, einerlei, ob er dem primären Stromdruck gleich oder bereits

secundär durch Hemmung im Kehlkopf vermindert ist. Doch empfiehlt sich dieser Versuch gerade für Demonstrationszwecke, weil er die Wirkung der Kehlkopfhemmung auf die wirkende Kraft des Druckstroms (z. B. bei der Vergleichung von f und v) sehr gut veranschaulicht. Im Uebrigen muss für die Beobachtung im Allgemeinen noch die Entscheidung hauptsächlich massgebend sein, welche das Ohr nach den Stärkegraden der Schallempfindung gibt. Als Aushülfe dient dabei vielfach das verschiedene Muskelgefühl, das sich bei der Aussprache von Lauten verschiedener Druckstärke in den Articulationsorganen (z. B. bei b und p in den Lippen) kundgibt.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/43&oldid=- (Version vom 11.5.2022)