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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

26 71—75. Die Vollstimme.


71. Hierbei ist allerdings gleich darauf aufmerksam zu machen, dass eine directe Untersuchung der Eigenschaften der Stimme am lebenden Sprachorgan nicht möglich, wenigstens bis jetzt nicht erreicht ist. Denn die Stimme gelangt vermöge des eigenthümlichen Baues des Sprachorgans niemals unverändert, sondern bereits umgestaltet durch die Resonanzwirkungen des Ansatzrohrs, zum Ohre des Hörenden, sei es z. B. als Vocal oder als Liquida oder als Nasal u. s. w. Nun bleiben aber für jeden dieser Einzellaute die Resonanzverhältnisse des Ansatzrohrs sich wesentlich gleich, da sie von der Thätigkeit des Kehlkopfs unabhängig sind. Daraus folgt aber wieder, dass die verschiedenen Bildungsarten der Stimme sich in ähnlicher Weise auch bei jedem Einzellaut finden müssen, bei dessen Erzeugung die Stimme betheiligt ist, mit andern Worten, dass sich die Eigenschaften der Stimme ohne erheblichen Schaden auch an einem Einzellaut (z. B. jedem beliebigen Vocal) demonstriren lassen.

a. Die Stimme (Vollstimme).

72. Bei der gewöhnlichen lauten Stimme (Vollstimme) hat man im Allgemeinen zu unterscheiden die Stärke oder Intensität, die verschiedenen Stimmregister, die Tonhöhen im Einzelnen und die Qualität (Stimmqualität).

73. Die Stärke hängt wie bei jedem Klang von der Energie ab, mit welcher der tönende Körper zu Schwingungen erregt, d. h. hier von der Energie, mit welcher der arbeitende Druckstrom durch die Stimmritze getrieben wird: je stärker der Stromdruck, um so lauter die erzeugte Stimme bez. der erzeugte Vocal etc.

Es versteht sich übrigens leicht, dass gegenüber dem Wechsel des Stromdrucks der Kehlkopf sich nicht indifferent verhält. Vielmehr wächst, nach einem für alle Articulationen geltenden (Gesetze, mit der Energie des Stromdrucks auch die der Hemmung, also hier die der Kehlkopfarticulation. Die articulirenden Kehlkopfmuskeln müssen gegenüber einem gesteigerten Stromdruck stärker angespannt werden, um die Stimmbänder in ihrer Articulationsstellung verharren und nicht gewaltsam auseinandertreiben zu lassen. Daher ermüdet auch bei lauterem Sprechen der Kehlkopf in demselben Masse wie die Brust schneller als bei leiserem.

74. In Bezug auf die sog. Stimmregister sind hauptsächlich zwei Arten von Stimme, die Bruststimme und die Kopf- oder Falsetstimme, zu unterscheiden. Physiologisch ist dieser Unterschied begründet durch die verschiedene Stellung und Action der Stimmbänder.

75. Bei der Bruststimme werden die Stimmbänder fest schliessend mit ihren Innenrändern an einander gelegt; der

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/46&oldid=- (Version vom 11.5.2022)