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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

92—95. Die Thätigkeit des Ansatzrohrs. 31


92. Wenn man die Bildung z. B. eines p, f, k oder eines f, s, ch beobachtet, so findet man leicht, dass dabei der Kehlkopf keinen Antheil als Schallerzeuger hat (28). Vielmehr erfährt ein stimmloser Druckstrom irgendwo im Ansatzrohr, z.B. bei p und f an den Lippen (bez. Zähnen) eine Hemmung, welche zur Erzeugung eines Geräusches an dieser Stelle Veranlassung gibt. Wird die Hemmung aufgehoben, so erlischt das Geräusch, auch wenn die Exspiration noch weiter fortdauert. Wird die Hemmung an einer andern Stelle des Ansatzrohrs hergestellt, so erscheint ein von dem ersten Geräusch verschiedenes. In jedem Falle lässt sich aber innerhalb des Ansatzrohrs eine Stelle bestimmen, an welcher das Geräusch seine Entstehung findet.

93. Ganz anders bei der Bildung z. B. eines Vocals, sagen wir a. Wir wissen, dass hier der Kehlkopf als Substrat des Lautes die Stimme liefert. Diese liegt aber auch dem i, u u.s.f. zu Grunde; man gelangt von a zu i oder zu jedem beliebigen andern Vocal durch blosse Gestaltveränderungen des Ansatzrohrs, während der Kehlkopf in der alten Articulationsstellung beharrt. Der Unterschied zwischen a, i, u beruht also eben so gut auf der Articulation des Ansatzrohrs, wie der von f, s, ch; aber nirgends kann man innerhalb des Ansatzrohrs eine Stelle fixiren, an welchem der dem a im Gegensatz zu i und u eigenthümliche Klang (als etwas von der Stimme Unabhängiges) gebildet würde. Vielmehr wirkt hier das Ansatzrohr als Ganzes nach dem Princip der Resonanz (s. 21 ff.) umgestaltend auf die im Kehlkopf erzeugte Stimme ein.

94. Im ersteren Falle bewirkt also die Articulation des Ansatzrohrs die Erzeugung eines selbständigen Schalles oder genauer gesagt Geräusches (f, s, ch), im zweiten Falle nur die Modificirung eines bereits anderwärts erzeugten Schalles, hier speciell eines Klanges. Wir nennen danach eine Articulation der ersteren Art eine schallbildende, eine der zweiten Art eine schallmodificirende.

95. Man sieht leicht, dass der Kehlkopf, sobald er überhaupt an der Articulation theilnimmt und nicht bloss rein passiv die Luft durch die weitgeöffnete Stimmritze durchströmen lässt, immer nur schallbildend wirkt, und dass auf diesen Schall das Ansatzrohr stets modificirend einwirken muss. Die Fähigheit der Schallbildung ist aber nicht auf den Kehlkopf beschränkt, sondern auch dem Ansatzrohr eigen, wie wir oben bei f, s, ch gesehen haben. Die Producte dieser Schallbildung

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/51&oldid=- (Version vom 23.5.2022)