Seite:Ein verlorener Posten 103.jpg

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ein verwöhntes Kind, dem man ein Lieblingsspielzeug aus der Hand nimmt und das doch nicht wagt, dasselbe zurückzufordern; er ließ die Mundwinkel verdrießlich hängen und konnte die Notwendigkeit, die kleine Anna von ihren Brüdern zu trennen, absolut nicht einsehen. Als der Lange ihm lachend sagte: „Aber Bruder, Du machst ja ein Gesicht, wie die Katze, wenn's donnert!“, verharrte er in verstocktem, mürrischem Schweigen und wühlte mit der Fußspitze im Sande. Aber Wolfgang verstand es, auch mit ihm fertig zu werden, indem er nach einigen Minuten allseitigen zaudernden Schweigens im Tone des Bedauerns sagte:

„Sie sind so verstimmt, daß ich in der That nicht wage, die Bitte auszusprechen, die ich an Sie richten wollte, und so muß die Verwirklichung des kleinen Plans, der ohne Sie unausführbar ist, also auf unbestimmte Zeit vertagt werden.“

„Ach, machen Sie keine Geschichten — wenn Sie einen Plan haben, so schießen Sie los. Sie wissen doch, daß ich mich für alle Ihre Pläne von vornherein interessiere. Ein kleines Feuerwerk, halbweiche Eier und Forellensalat, eine Erdbeerbowle oder was sonst?“

„Nun, dazu brauchten wir Ihre Hilfe wohl nicht, wie wäre es denn aber, wenn Sie uns übermorgen mit Ihren sachverständigen, höchsteigenen Händen einen Eierpunsch bereiteten? Ich liefere alle Ingredienzen, die Sie mir nur anzugeben brauchen, sowie das Geschirr, das Frau Meiling herausrücken muß, Sie lassen Ihren Petroleum-Kochapparat herausschaffen, wir binden Ihnen die weiße Schürze vor und dann sollen Sie schalten und walten nach Lust und Begehr.“

„Herr Hammer, ich könnte Ihnen fast vergeben, daß Sie ein Sozialist sind, Ihre Linke heilt die Wunden, die Ihre Rechte geschlagen. Der Gedanke ist superb, und ich garantiere mit meiner Ehre als Koch für einen Eierpunsch, wie ihn Seine Majestät in Berlin auch nicht besser haben kann. Und nun geben Sie Ihr Messer her — ich will mir meinen Strauß schneiden und von der Kleinen soll zwischen uns, ich gelobe es Ihnen, nicht wieder die Rede sein. Wenn man alles reiflich überlegt, haben Sie ja auch recht, und da Sie ihr das Leben gerettet haben, so gehört sie Ihnen. Ist das nicht die Seelengröße eines Spartaners? Bewundern Sie mich, Herr Hammer! Auch ich bin besser als mein Ruf.“ Und mit ausgelassenem Humor und karikierten Gesten rezitierte er ganze Monologe aus der „Jungfrau von Orleans“ und „Tell“, und als er nach einer Stunde mit einem mächtigen Rosenstrauß heimwanderte, war jede Spur von Bitterkeit und Verdruß aus seiner Seele ausgetilgt, und als er zu Hause die Rosen in ein Wasserglas steckte, sagte halblaut vor sich hin: „Der Teufel soll ihm gram sein — er ist und bleibt doch ein liebenswürdiger, gemütlicher Herr, — und diese unbezahlbare, erquickende Stille in seinem Garten! Wir bleiben gute Freunde, Herr Hammer! Abgemacht — punktum!“

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Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_103.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)