Seite:Ein verlorener Posten 13.jpg

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machen würde.“ Sie machte eine kleine Pause, als zaudre sie, ob sie weiter erzählen müsse, ja, als bereue sie sogar, so viel gesagt zu haben, aber während Emmy in gespanntester Neugier rief: „Aber weiter, weiter!“ und Frau v. Larisch sich ganz unmerklich und flüchtig auf die Unterlippe biß, wie man es wohl thut, wenn man etwas recht Unerwartetes und nicht bloß Willkommenes erfährt, kam der Bedrängten der galonnierte Diener zu Hilfe, dessen Phantasieuniform alle Welt sehr abenteuerlich fand, nur der Herr Kommerzienrat nicht, und meldete gravitätisch: „Der Herr Kommerzienrat erwarten die Damen zum Thee.“

Wir sind nun wohl genügend über die drei einander so wenig ähnlichen Frauengestalten orientiert, deren weiche Hände in das Geschick unseres Helden einzugreifen bestimmt sind, und es dürfte nachgerade an der Zeit sein, daß wir uns nach diesem umsehen. Was man von Frauen über einen Mann in Erfahrung bringen kann, ist in der Regel nur wenig und hat mit seiner Charaktereigentümlichkeit nicht viel zu schaffen; sie halten sich an Aeußerliches, und so fein und rasch sie in dieser Hinsicht beobachten, so schwach ist ihr Vermögen, in die Individualität des Beurteilten einzudringen und Schlüsse aus den bedeutsamen kleinen Zügen zu ziehen, durch welche dieselbe sich verrät. Männliche Beobachter operieren entgegengesetzt; sie haben weder eine Gewißheit über die Farbe der Augen ihres Studienkopfes erlangt, noch vermögen sie zu konstatieren, daß an einem Handschuh das Schlußknöpfchen fehlte und daß ein Knopf am Rock ein wenig abgeschabt war, aber dafür pflegen sie über die hervorstechendsten Charakterzüge, über die größere oder geringere Originalität und selbst über das Gemütsleben des Objekts ihrer Beobachtung in der Hauptsache im klaren zu sein. Abgesehen nun davon, daß die drei Damen, deren Geplauder wir belauschten, gar nicht in der Lage gewesen sind, zu zeigen, ob sie einen Mann nicht nach zufälligen und untergeordneten Aeußerlichkeiten beurteilen und daß der am wenigsten Gesprächigen, die also aller Wahrscheinlichkeit die beste Beobachterin ist, die Gelegenheit, sich zu äußern, abgeschnitten wurde, bleibt uns schon nichts übrig, als unseren Helden selber unter die Lupe zu nehmen und in sein häusliches Stillleben einen prüfenden Blick zu werfen. Unser Interesse ist ja zur Genüge geweckt worden.

Ungefähr zu der Zeit, als wir uns in das Haus des Kommerzienrats einschlichen, war Wolfgang Hammer, von seinem großen, klugen Neufundländer begleitet, von einer vielstündigen, ziellosen Streife durch den Wald und über die Berge heimgekommen. Er begrüßte seine alte Wirtin, eine ehrsame Klempnerswitwe, die strickend in der Hausflur saß, mit einem freundlichen Zuruf, stieg hinauf in sein Zimmer im ersten Stock, steckte den großen Strauß gelber Primeln, den er mitgebracht hatte, ins Wasser, öffnete die Fenster und sah in tiefen Gedanken hinaus nach den Bergen, die sich rasch in Dunkelheit hüllten. Am wolkenüberzogenen Himmel ließ nur da und dort ein matter Stern sich erkennen, und die Müdigkeit nach dem angreifenden Marsch und des

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_13.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)