Seite:Ein verlorener Posten 183.jpg

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fünf Sinne trotz alledem noch so leidlich beisammen hat. Nur das Eine laß Dir noch sagen, daß ich nicht, was Dich ja wurmen würde, eine sentimentale Abschiedsscene aufführen werde; ich bin vielmehr ganz in der Stimmung, der zu sein, der das Tischtuch zerschneidet, und mir einen glänzenden Abgang zu sichern, nachdem ich vorher noch einmal nach Herzenslust um mich gehauen habe. Daß ich's kann und daß die Milch meiner Denkungsart sich zwar nicht in gärend Drachengift verwandelt, aber immerhin unter bestimmten Voraussetzungen bedenklich sauer wird, weißt Du ja. Also hab' nur keine Bange; ich bin sträflich sentimental gewesen, ich habe eine Dummheit begangen, die nicht aufhört, eine Dummheit zu sein, weil sie sich hochpoetisch herausgeputzt hatte, ich bin dafür über die Gebühr malträtiert worden, aber ich werde ihnen zeigen, daß sie sich trotzdem immer noch in mir verrechnet hatten und dafür sorgen, daß sie sich bedenklich hinter den Ohren kratzen, so oft sie meiner gedenken.

Grüß mir inzwischen die See, meine alte Liebe, und laß ein Bett aufschlagen für

Deinen Wolfgang.

Es war ein schmerzliches Zucken der Lippen, mit dem unser junger Freund den fertigen Brief überlas. Dieser Brief befriedigte ihn nur sehr wenig. Einerseits fand er denselben matt und farblos und unvermögend, dem Freunde auch nur einen entfernten Begriff von dem herben, bitteren Groll zu geben, der ihm bis herauf in die Kehle schwoll, von dem widrigen Geschmack, den er auf der Zunge hatte, von dem brennenden Vergeltungsverlangen, das ihn verzehrte; andererseits fühlte er sich viel elender, als diese Zeilen verrieten, und er war geneigt, sich einen Komödianten zu nennen, und sich ein hohles Prahlen mit einer Festigkeit vorzuwerfen, von der sein Herz doch nichts wußte, wenn er sie auch, verzweifelnd fast, anstrebte. Der Gedanke an den Entschluß, der während der qualvollen Unterredung in ihm gereist war, behütete ihn vor dem widerstandslosen Versinken in die empörte Flut des Gefühls, und er klammerte sich krampfhaft an diesen Gedanken, aber es war doch ein wildes, schneidendes Weh, das er empfand, und das rote Herzblut der Schmerzen sickerte immer wieder durch den dürftigen Notverband der Bitterkeit und des sarkastischen Spotts über die eigene thörichte Schwäche. Er schlug sich vor die Stirn und fragte sich, ob er darum dreißig Jahre alt geworden sei, um eine blonde, blöde Jugendeselei zu begehen, die andere in ihrem achtzehnten Jahre abmachen, ob Raison darin sei, sich in ein paar dunkle, sprechende Augen zu verlieben und aus Rand und Band zu geraten, wenn sich hinterher ganz naturgemäß herausstellt, daß diese schönen Augen einem in weiblichen und kleinstädtischen Vorurteilen verknöcherten Mädchen angehören; er warf sich vor, durch seinen Idealisierungsdrang an allem selber schuld zu sein und sich durch ein alltägliches Geschöpf solange systematisch herausgeputzt zu haben, bis er sich berechtigt glaubte, sie anzubeten; er stellte sich vor, daß er es ja in der Hand habe, der engherzigen Kleinstädterin den Nachweis zu liefern, daß man es doch noch anders anfangen müsse, um einen so wilden, scheuen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_183.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)