Seite:Ein verlorener Posten 189.jpg

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– entsage. Jemehr ihn alle die bitteren, unbarmherzigen Worte, die er ihr sagen, zu müssen glaubte, quälten, desto mehr steifte er sich darauf, ihr diesen Brief zu schreiben; er schalt sich wegen der Schwäche, die ihm immer und immer wieder vorstellte: „Warum sie zur Zertrümmerung aller ihrer Illusionen, an denen Du doch mit schuld bist, auch noch geflissentlich und kalten Blutes kränken, warum Deiner rechtmäßigen Rache auch noch Sarkasmen und Demütigungen hinzuzufügen?“ Dennoch siegte diese Regung; es war genug, wenn er einen Schritt that, der ihr sagte: „Ich bin so weit davon entfernt, Dich des Preises wert zu finden, den Du forderst, daß ich meine Schiffe hinter mir verbrenne und eine unübersteigliche Mauer zwischen uns aufrichte?“ War es nicht sogar noch stolzer, edler und eindringlicher, wenn er sie gar keines direkten Wortes würdigte? Und dennoch kam er noch später auf den Gedanken, ihr zu schreiben, wieder zurück, nur wollte er ihr so schreiben, wie es ihm wirklich ums Herz war; er wollte ihr nichts schenken und erlassen, er wollte aber auch nicht mit einer Ruhe prahlen, die sie doch vielleicht als eine vorgebundene Maske erkannt hätte, er wollte wahr sein bis zum letzten Augenblick; erhielt er doch nur dadurch ein Recht, über das an ihm Verübte zu Gericht zu sitzen, konnte er doch nur auf diese Weise sein Handeln in den Augen Marthas aus einem bloß trotzigen, eigensinnigen und hochfahrenden zu einem stolzen, berechtigten, ja notwendigen machen. Zudem – strafte er sie nicht viel empfindlicher, wenn er ihr sagte, was sie ihm gewesen war und was sie an ihm verlor, raubte er ihr nicht so jede Möglichkeit, ihr eigenes Verfahren sich selber gegenüber zu beschönigen und ihm falsche Motive anzudichten, die sie nur als erwiesen anzusehen brauchte, um sich über das Scheitern ihres Plans zu trösten, und gereichte ihr die volle Kenntnis seiner Beweggründe nicht hoffentlich zugleich zur Warnung und zur Lehre, vorausgesetzt, daß sie noch einmal die Aufmerksamkeit eines so kritischen und sensitiven Träumers auf sich zog, wie er es war.

So fand denn einer der ersten Abende der zweiten Woche des neuen Jahres Wolfgang an seinem Schreibtisch; er stützte oft den Kopf in die Hand und blickte nachdenklich vor sich hin, aber er strich und änderte kein Wort in dem Abschiedsbrief, den er an Martha richtete und der folgendermaßen lautete:

Mein Fräulein!

In dem Augenblick, in welchem diese Zeilen Ihnen übergeben werden, habe ich M. bereits verlassen, um nie wieder hierher zurückzukehren, und in welchen Winkel der Welt mein Schicksal mich verschlagen wird, vermag ich in diesem Augenblick selbst nicht zu sagen; ich würde es aber auch nicht sagen mögen, selbst wenn ich es sagen könnte.

Sie nennen diese Zeilen vielleicht überflüssig; habe ich Ihnen denn, wenn Sie dieselben lesen, nicht bereits die denkbar klarste Antwort auf die Eröffnungen gegeben, die Sie mir unter der Hand machen ließen, habe ich nicht die Bedingungen, die Sie stellen zu müssen, die Sie stellen zu

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_189.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)