Seite:Ein verlorener Posten 206.jpg

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hatte, dessen blasse Lippen zitterten und der sich ratlos und nervös mit der Hand durch den Haarbusch fuhr, und trat zum Kommerzienrat, der am liebsten zornig aufgebraust wäre, aber keine Worte fand und den jungen Mann wie geistesabwesend und ziemlich albern anstarrte. Mit der kühlen, gelassenen Artigkeit, die unter Umständen am meisten imponiert und brutale Naturen ihrer Waffen beraubt, sagte er: „Ich habe Ihnen meine Antwort gegeben, Herr Kommerzienrat, und ich glaube, sie ist deutlich ausgefallen. Sie sehen es wohl mit mir als selbstverständlich an, daß diese Stunde unser Verhältnis löst, und ich komme Ihnen zuvor, indem ich Ihnen erkläre, daß ich den Fuß nicht wieder in das Comptoir setzen werde, Meine Bücher und Skripturen sind vollständig in Ordnung, nicht bloß bis auf den Tag, sondern bis auf die Stunde und Minute; sollte dennoch irgend eine Aufklärung gewünscht werden, so bitte ich, dieselbe bis morgen abend zu fordern, da ich solange hier bleibe, um meiner Wählerpflicht zu genügen und das Resultat der Wahl abzuwarten. Ob Sie mir ein Zeugnis ausstellen wollen, stelle ich in Ihr Belieben; ich bedarf desselben nicht und will Ihnen nicht zumuten, sich noch weiter mit einem Manne zu befassen, der Ihnen eine so verdrießliche Lektion erteilt hat, wenn Sie auch zugeben werden, daß Sie ihn gereizt hatten.“

Der Kommerzienrat nickte steif und kalt und erklärte so sein Einverständnis; es erschien ihm in diesem Moment unmöglich, eine andere Form der Erwiderung zu finden und dennoch seiner Würde nichts zu vergeben. Erst einige Tage später besann er sich auf allerlei stolze, strafende, geringschätzige, niederschmetternde Redewendungen, die eine gebührende Abfertigung dieser „unverschämten, herausfordernden Dreistigkeit“ gewesen wären.

Mit einer förmlichen Verbeugung gegen Herrn Reischach und den Landrat, der ihn kalt und fremd fixierte, hatte sich Wolfgang zurückgezogen.

Inzwischen war denn Krone endlich zum Wort gelangt. Aber seine Stimme erwies sich unfähig, das noch immer anhaltende dumpfe Summen eifrig redender Stimmen zu übertönen. Von all den massiven Wahrheiten, die er an Wolfgangs bahnbrechende Rede hatte knüpfen wollen, blieben ihm sieben Achtel in der Kehle stecken und auf das zur Aussprache gelangende Achtel hörte fast niemand. Es blieb also bei einem in unregelmäßigen Zwischenräumen hervorgestoßenen:

„Freunde! Bürger! Wer von all den Rednern, die heute gesprochen haben, die Wahrheit vertreten hat, darüber kann Wohl kein Zweifel sein — das muß sich jeder sagen. Die ewigen Ideen lassen sich nicht unterdrücken, — sie erheben immer wieder siegreich ihr Haupt, — die Gewalt kann Ihnen nichts anhaben, — aller Lug und Trug muß endlich entlarvt werden, — alle Redekünste leiden zuletzt doch kläglich Schiffbruch. Die Wahrheit kann überschrieen werden, — sie bohrt sich aber immer wieder durch oder vielmehr, sie verschafft ihrer Stimme immer wieder

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)