Seite:Eine Bergfahrt in Süd-Tirol 35 01.jpg

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Wir hatten es also mit der Kellnerin zu thun, einer munteren Italienerin, in deren Munde das Tyroler Deutsch höchst drollig klang, die nur lachte, als wir auf dem Balkon Nüsse fanden, die zum Trocknen hingeschüttet waren, und uns davon so viele aneigneten, als zum Dessert wünschenswerth schien, und die mir auch die Pilze, die ich aus dem Val Genova im Taschentuch mitbrachte, gratis zubereitete. Mit Rücksicht auf sie sei der Mantel der christlichen Liebe über die Rechnung gebreitet, die uns am Ende präsentirt wurde und die wiederum das rechnerische Genie der Italiener bekundete, das in der doppelten Buchführung seinen reinsten Ausdruck gefunden hat.

Der Führer Giacinto Collini stellte sich ein, als wir beim Abendessen saßen und erklärte sich nach einem prüfenden Blicke, der eine Inventur aller unserer physischen und moralischen Eigenschaften aufzunehmen schien, bereit, uns auf den Adamello zu führen; einen zweiten Führer müßten wir freilich mitnehmen, auch wenn wir unser Gepäck selber trügen. Der Adamello gehört allerdings zu den Spitzen, die eigentlich für jeden Touristen zwei Führer erfordern, und im Oktober ist die Sache der Schneestürme wegen doppelt ernst zu nehmen. Es kann ja auch einem Führer etwas Menschliches passieren und ohne Führer ist man dort oben verloren.

Zeitlich am anderen Morgen machten wir uns reisefertig und fanden nach eingenommenem Frühstück, für das treulich gesorgt war, in der „Kuchel“ unsere beiden Führer: Giacinto Collini, hoch in den Vierzigern, mit leicht angegrautem Haar, aber wetterfest und kräftig, elastisch und aufrecht; man hatte sofort Vertrauen zu ihm; der Träger und Führeraspirant mochte ein hoher Zwanziger sein und hatte bei den Kaiserjägern seine drei Jahre gedient; er war gefällig und unverdrossen und wir sind mit Beiden in jeder Hinsicht zufrieden gewesen.

Da der Tag uns doch nur bis zur Leipziger Hütte, dem Rifugio (Schutzhaus) di Mandron, bringen konnte, hatten wir es mit dem Aufbruche nicht weiter eilig; wir sind aber doch um sieben Uhr aufgebrochen, in ziemlich dichtem Nebel. Die am Mandrongletscher entspringende Sarca, welche das Thal durchtost, hat dasselbe weithin mit Gestein und Geröll bedeckt und die grünen Matten von einst für immer vermurt; man hat den Wildbach zwar durch Steindämme wieder eingeengt, aber beim nächsten Hochwasser wird er dieselben überfluthen und neue Schichten von Gestein auf den alten ablagern; die gedankenlose Waldverwüstung scheint allen Thälern Tyrols dieses Schicksal bereiten zu wollen, ganz abgesehen davon, daß bei der Verwitterung der Dolomiten schon nach jedem starken Regen ein Theil des Schuttkranzes, der diese Berge umgiebt, mit den Wildbächen in's Thal geschwemmt wird. Um nach dem Mandronferner zu gelangen, hat man das fünf

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Rudolf Lavant: Eine Bergfahrt in Süd-Tirol. Goldhausen, Leipzig 1900, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_Bergfahrt_in_S%C3%BCd-Tirol_35_01.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)