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und sichtbarer Weise noch zukommt als den internen, Großes erreicht. Die Geduld und Nachsicht, die unermüdbare und erfindsame Liebe, die den einzelnen nachgeht – ich denke an die Sprachübungen im Lazarette zu Douai, an große Operationen in Lille und Montigny – werden ihres Eindrucks nie verfehlen. Wenn etwa von sechzehnhundert Kranken nur siebenzehn sterben, so ist das ein glänzendes Ergebnis gesegneter Kunst und Tätigkeit.

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 Ein eignes, dunkles Kapitel bedeuten die Geschlechtskranken, denen auch die Fremde nicht noch oft die Rücksicht auf Weib und Kind daheim, geschweige denn Ehre und Liebe zum Vaterland Heiligung des Willens auflegen konnte, und die Opfer ihrer Zügellosigkeit, oft auch der Trunkenheit geworden sind. Ich habe grundsätzlich sie nicht besucht, nur einmal in einem Lazarette nahe bei Haubourdin einen getroffen, der mich zuerst falsch berichtet und dann sich selbst der Unwahrheit angeklagt hatte. Was sollte ich diesen Kranken bringen? Den Gruß der Heimat, den Willkomm der heimatlichen Kirche, den Dank der Ihren? All das konnte und durfte ich nicht und ihnen zu sagen, was ich denke, war ich in der vorübergehenden Mission nicht berufen. So lange ich geordnete Seelsorge hatte, versäumte ich es nie, den Ernst dieser entnervenden und entwürdigenden Sünde darzustellen und habe nur einmal die freche Gegenrede erfahren, ob ich einen Augenleidenden auch so anreden würde, ein Leiden sei wie das andere, der eine leide eben an diesem, der andere an einem anderen Körperteile. Es bedarf eines gefestigten und gereinigten Willens, diesen Kranken entgegen zu treten, sie zu strafen und doch nicht zu verachten, sie auszurichten und doch nicht zu schnell aus der Zucht zu lassen. Daß die Seelsorge an Männern immerhin leichter ist als an Frauen mit solchen entwürdigenden Leiden, soll angemerkt werden. Man wird, ohne daß man mit allen Aufstellungen und Maßnahmen der Sittlichkeitsvereine,

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_44.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)