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100 Drittes Buch.


doch die Wahrsager und Propheten und alle anderen, von denen er hörte, dass sie sich eifrig mit dem Vorauswissen der Zukunft beschäftigten, über die Durchführung der Rache für seinen Sohn Balder. Denn die unvollkommene Göttlichkeit bedarf eben der Hilfe der Menschen. Ihm verkündete der Finne Rostiophus (Rossdieb), es werde ihm ein anderer Sohn erweckt werden von der Rinda, der Tochter des Russenkönigs, welcher den Mord seines Bruders bestrafen würde; denn die Götter hätten die Rache für ihren Genossen der Hand des künftigen Bruders überwiesen. Als Othin das vernahm, verdeckte er sein Antlitz mit einem Hute, um nicht durch sein Aussehen verraten zu werden und begab sich zu dem erwähnten Könige, um bei ihm Dienste zu nehmen. Er wurde von ihm zum General gemacht, erhielt ein Heer und brachte einen schönen Sieg über die Feinde nach Hause. Wegen dieser tüchtigen Schlacht berief ihn der König unter seine vertrautesten Freunde und lohnte ihm ebenso durch Geschenke wie durch Ehrenerweisungen. Nach kurzer Unterbrechung jagte er allein die Reihen der Feinde in die Flucht und kehrte als Gewinner und zugleich Bote des wunderbaren Sieges heim. Alle staunten, wie ein solches Gemetzel unter einer grossen Anzahl durch die Kraft eines Einzelnen habe angerichtet werden können. Auf diese Verdienste bauend weihte er nun heimlich den König in seine Liebe ein. Durch dessen wohlwollende Begünstigung ermutigt, bat er die Jungfrau um einen Kuss, erhielt aber einen Backenstreich. Jedoch weder die schmachvolle Behandlung noch der Ärger über die Beleidigung konnten ihn von seinem Vorhaben abbringen.

Um nicht schmählich aufgeben zu müssen, was er mit Eifer begonnen hatte, suchte er im nächsten Jahre in fremdländischer Tracht wieder in die nächste Umgebung des Königs zu gelangen. Er konnte nicht leicht von den Begegnenden erkannt werden, da seine wahren Züge eine täuschende Schminke unkenntlich machte, das alte Aussehen ein neuer [79] 79entstellender Überzug den Blicken verbarg. Er heisse Rosterus[1],


  1. An. Hróptr (Rufer); nach Bugge, Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen 137, 565 ff. = Hrostr, entstanden aus Christus.
Empfohlene Zitierweise:
Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)