Als seine Feinde in die Grube hinabsahen – sieh, da hatte sich Wasser darin gesammelt. Sie holten davon herauf, und es war so schön, so silberklar und rein, daß es im erwachenden Morgenlicht wie Diamanten von ihren Fingern tropfte. Da begruben sie den Ermordeten, errichteten ihm an derselben Stelle einen Stein zum Gedächtnis und gelobten, niemals wieder jemand zu töten, der – (mit Bitterkeit) einen Brunnen grübe. (Wolfgang ist während der Erzählung in den Stuhl zurückgesunken und hat den letzten Teil mit wachsender Ergriffenheit gesprochen. Fritz hat sich an seine Brust gelehnt und beide blickten nachdenklich und wie träumend in’s Weite.)
Fritz (erhebt langsam das Gesicht gegen Wolfgang): Du – weißt du was?
Wolfgang: Nun?
Fritz: Du erzählst immer viel – viel schönere Geschichten als der Herr Kandidat. (Lebhaft.) Und du sprichst garnicht von der ewigen Verdammnis und vom Glauben. Wie viele schöne Geschichten hast du mir schon erzählt von Helden und Riesen und von Drachen, und nie sagst du, daß man daran glauben muß. Das braucht man doch nicht alles zu glauben, nicht du?
Wolfgang (lächelnd): Nein, du brauchst meine Geschichten nicht zu glauben! Aber schön sind sie doch, wie?
Fritz: Wunderschön! – Was du sagst, kann ich auch immer verstehen. Aber den Herrn Kandidaten kann ich mitunter garnicht verstehen. Und wenn ich dann sagen muß, was ich garnicht verstehe, dann – dann ist mir immer so schlecht zu Mute – – –
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)