Wolfgang: Verzeihung, Papa, aber „Der Trunkenbold“ ist doch mindestens so anständig wie „Gräfin Fifi.“
Wöhlers: Aber widerlich ist es, und das ist „Gräfin Fifi“ nicht.
Wolfgang: Es kommt auf den Geschmack an. Mir ist das Laster weniger widerlich, wenn es sich in seiner nackten Brutalität äußert, als wenn es grinst und Couplets singt.
Wöhlers (gereizt): Na – du scheinst darin ja deine besonderen Ansichten zu haben. Das geht auch daraus hervor, daß du uns einen Roman wie Zola’s „Germinal“ empfehlen konntest! Höre mal!
Wolfgang: Nun, was denn?
Wöhlers: Ein solcher Schund!
Wolfgang (lächelnd, mit höchstem Erstaunen): Schund?
Christine: Aber Wolfgang, es ist ein empörendes Buch!
Wöhlers: Einfach scheußlich! Alles grau in grau! Keine Spur von Humor!
Wolfgang: Ja – muß es denn immer Humor sein?
Wöhlers: Und diese versteckte – fast möcht’ ich sagen – Glorifizierung des sozialistischen Pöbels!
Wolfgang: Findest du sie nicht bewunderns- und bemitleidenswert, diese Arbeiter in ihrem heroischen Verzweiflungskampfe?
Wöhlers: Bewundernswert? Ich danke! Diese gewissenlosen Subjekte, die ihre Familien durch ihren Starrsinn zu Grunde richten – die soll ich noch bewundern?
Wolfgang: Sollen sie sich denn lieber ein für allemal in die Hände der Arbeitgeber überliefern und durch diese ihre Familien zu Grunde richten lassen?
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/23&oldid=- (Version vom 13.6.2022)