Magdalene: Ich war plötzlich so unentschlossen, – ich weiß nicht – vergieb mir, Wolf! Du weißt ja, daß ich gerade so denke wie du; aber – er redete so lange auf mich ein, daß ich – daß ich ganz verwirrt wurde.
Wolfgang: So. Und er redete wohl sehr eindringlich –?
Magdalene: Ja.
Wolfgang: Sagte er auch, daß das Kind nicht gedeihen werde, oder daß es nicht selig werde ohne Taufe? Oder dergleichen?
Magdalene: Er deutete es an.
Wolfgang: So. – (geht schweigend auf und ab. Wendet sich dann plötzlich gegen Magdalene) Wünschest du, daß wir von hier fortziehen?
Magdalene: (mit Hast, ängstlich) Nein, nein! Gewiß nicht! Nicht noch weiter von den Eltern fort! Dann käm’ es nie zur Verzeihung.
Wolfgang: Verzeihung? Wofür?
Magdalene: Daß ich sie heimlich verließ.
Wolfgang: Ja ja – nicht wahr, du wünschest jetzt, daß du nicht geflohen wärst, daß du offen und mutig vor sie hingetreten wärst und ihnen gesagt hättest: Ich verlaß euch und folge meinem Manne!?
Magdalene (weinend) Ach, ich hatte ja nicht den Mut dazu.
Wolfgang (mit zärtlichster Schonung): Sieh, ich will dir keine Vorwürfe machen; aber die eine Lehre – das möcht’ ich, daß du dir die eine Lehre daraus entnähmst: Was man für recht hält, soll man mutig bekennen und thun. Wenn man es furchtsam und verstohlen thut, ist es oft nicht mehr das
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/50&oldid=- (Version vom 14.6.2022)