ihn heute schon gesehen? Kommt er abends auf den Ball?“
„Wie sollte er nicht?“ antwortete Klemens, „er ist ja sicher, Sie und Thekla dort zu finden.“
„Sie gefällt ihm also, meinen Sie?“
„Gefällt? … Er ist entzückt von ihr, hingerissen, über und über verliebt! Verlassen Sie sich auf mich, ich wiederhole es: bevor diese Woche zu Ende geht, ist Thekla seine Braut.“
Marianne war nachdenklich geworden; eine Wolke lag auf ihrer Stirn, als sie nach einer Pause erwiderte: „Ich könnte für sie nichts Besseres wünschen.“
„Ja, der ist’s,“ meinte Klemens, „der ist’s! Ein Schwiegersohn, recht nach Ihrem Herzen.“
„Und ein Mann nach Theklas Kopfe,“ fügte die Gräfin hinzu.
Marianne war bei der Erziehung ihrer Tochter vornehmlich von der Sorge geleitet gewesen, in dem Kinde keine „Sentimentalitäten“ und keine „Exaltationen“ aufkommen zu lassen. Theklas Verstand sollte ausgebildet, und ihre Phantasie gezügelt werden. Wohlthätigkeit und Großmuth hatte man ihr als Anforderungen ihres Standes hinzustellen. Sie sollte geben lernen, reichlich, mit vollen Händen, niemals jedoch ohne Ueberlegung, vor Allem nie aus einer flüchtigen Wallung des Mitleids. „Wissen Sie warum, liebe Dumesnil?“ sagte die Gräfin zu der
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/307&oldid=- (Version vom 31.7.2018)