unbegreiflich tiefen Eindruck, machte diese Episode im Jugendleben Theklas auf ihre Mutter.
Das kleine Ereigniß, es ist nicht anders möglich, muß die Gräfin zu einem Rückblick in ihre eigene Vergangenheit veranlaßt, muß schmerzliche Erinnerungen in ihr geweckt haben, dachte die Französin. Sie besann sich jetzt des halb vergessenen Gerüchtes, Marianne habe dereinst einen Menschen geliebt, der ihrer in keiner Weise würdig war; einen Mann von vielem Geiste, scharfem Verstande, aber zweifelhaftem Rufe, der die Phantasie des jungen Mädchens zu fesseln, ihr Herz zu gewinnen wußte und sich plötzlich – sehr zur Beruhigung ihrer Eltern – von ihr abwandte, um ein mit Ostentation zur Schau getragenes Verhältniß mit einer stadtkundigen Schönheit einzugehen. Es gab Leute, die behaupteten, vielleicht ohne es selbst zu glauben, die Gräfin habe ihre Neigung für Hans von Rothenburg niemals ganz überwunden. Diese schlecht belohnte Liebe habe Zeit und Entfernung, habe Mariannens Ehe mit einem ehrenwerthen Manne überdauert und den einzigen Schatten geworfen, der jemals in ihr glückliches Dasein fiel. Was an alledem Wahres sei, erfuhr die neugierige Dumesnil nie, und blieb in dieser Sache auf die Gedanken angewiesen, welche sie sich selbst darüber machte. Nahrung gab ihnen allerdings die Unruhe, in die Marianne durch Theklas kindische Herzensverwirrung versetzt wurde. So ängstlich behütet man ein geliebtes Haupt nur vor selbst erfahrenem Uebel. Die Gräfin stand Nachts auf und
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/314&oldid=- (Version vom 31.7.2018)