aus der seinen und sagte: „Ich weiß nicht, was Sie wollen.“
„Ich werde es Ihnen sagen!“ rief er ausbrechend. „Die Ehrenhaftigkeit des Weibes besteht darin, dem Manne, der um sie freit aus unaussprechlicher Liebe – „Nein!“ zu antworten, wenn sie diese Liebe nicht erwidern kann … Verstehen Sie mich jetzt? … Wir würden unglücklich sein – beide – wenn Sie mich nicht liebten. – Weisen Sie mich ab, Thekla, wenn Sie mich nicht lieben! … Weisen Sie mich ab!“
Sie stand vor ihm mit trotzig aufgeworfenen Lippen, bleich und ruhig – noch immer ruhig … Plötzlich aber zuckte es schmerzlich über ihr Gesicht, ihre Augen wurden feucht, und rasch bedeckte sie dieselben mit ihrer Hand. Ach, auf dieser edlen Hand brannten rothe Flecken, die Spuren der schonungslosen Finger, die sie eben umklammert hatten; sie erhob sich wund und weh, um Tränen zu verbergen, die er fließen gemacht, der gequälte Quäler, dessen Herz sich bei diesem Anblick wandte, und den tiefe Reue ergriff, nagende Scham … Er fühlte seinen Zorn erlöschen, den letzten Groll verschwinden und seine Liebe steigen, steigen, wie eine reine Flamme, sein ganzes Wesen erfüllen und läutern, er fühlte in ihren göttlichen Gluthen alles schmelzen, was in ihm an Selbstsucht, Selbstbetrug und Eitelkeit gelebt hatte … Er trat auf die Geliebte zu, legte den Arm um sie und küßte mit innigster Zärtlichkeit die Hand, die er ihr von den Augen zog.
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/338&oldid=- (Version vom 31.7.2018)