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einen …“ Seine Hand zeichnete schwungvolle Linien in die Luft, „einen Kranz, so – verschlungen … und die Platte aus geschliffenem Granit spiegelt wie blankes Eis im Sonnenschein. Eingemeißelt in den Stein steht ihr Name in großen Buchstaben, sonst nichts, als nur das Datum; Geburts- und Todestag natürlich … Darunter zwei Verse von ihrer Lieblingsdichterin, sonst gar nichts.“

„Peinlich! peinlich!“ dachte Paul, „werd’ ich den Schwätzer nicht los?“ – „Was für Verse?“ fragte er obenhin, nur um etwas zu sagen.

„Ja, was für Verse? Als ob ich mir dergleichen merkte! Aber aufgeschrieben hab ich sie, wenn mir recht ist …“

Er suchte lange in seiner mit Rechnungen, Adressen und Zeitungsabschnitten bis zum Bersten gefüllten Brieftasche und zog endlich einen Papierstreifen hervor, den er Paul reichte.

Dieser las halblaut und langsam:

„Sehr jung war ich, und sehr an Liebe reich,
Begeisterung der Hauch, von dem ich lebte.“

Kamnitzky bewegte die Lippen, als spräche er im stillen jede Silbe nach. „Ja, ja,“ sagte er, „ganz richtig, das ist sie … Ach Gott, ist sie – gewesen! Na … Gott hab sie selig! Deine Eltern … sie haben freilich das Kind, ein Trost, eine Sorge …“

Paul schwieg. Er hatte den Ellbogen auf das Knie gestützt und die Stirn in seine Hand; die gesenkten Augen ruhten unverwandt auf den geschriebenen Zeilen, die er

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Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/351&oldid=- (Version vom 31.7.2018)