grössten Teil mit der Absicht Vergnügen zu bereiten abgefasst worden, und die Auffassung ist falsch, dass man sie in den alten Zeiten anfangs ernst genommen habe, wie es heutzutage unter den Kindern der Fall ist, und sie erst später Vergnügens halber zu erzählen begonnen hätte.
Einige von den Freunden der anthropologischen Auffassung, die zwar der Wanderung der Märchen von einem Volke zum anderen eine grössere Bedeutung zuerkennen als die Gründer der Schule, versuchen den Wert der Entlehnung durch die Behauptung zu vermindern, dass viele Ähnlichkeiten, in welchen die Forscher Entlehnungen vorausgesetzt haben, ihr Entstehen dem Zufall verdanken. In diesem Sinn äussert sich u. a. A. Forke in seinem Werke „Die indischen Märchen“ (1911). Im Leben kommen viele Übereinstimmungen vor, erklärt er, die auf Zufall beruhen. Es gibt Fälle, wo die Denker, ohne von einander zu wissen, gleiche Konzeptionen gehabt haben, ein chinesischer Philosoph und ein indischer Weiser haben z. B. über das menschliche Leben solche Anschauungen ausgesprochen, dass der grösste Teil des Lebens von der Kindheit, dem Alter und dem Schlafe ausgefüllt wird und den Rest noch Schmerz, Krankheit und Sorge stören. Ebenso sind in den Märchen viele Ähnlichkeiten entstanden; so z. B. die Übereinstimmung in der äsopischen Fabel vom Fuchs, der, nachdem er das Herz des getöteten Hirsches gefressen, zum Löwen sagt, der Hirsch habe gar kein Herz gehabt, und in dem Märchen vom Drachentöter, wo der als Retter der Königstochter auftretende Marschall behauptet, die Drachen hätten überhaupt keine Zunge – er hat die Zungen herausgeschnitten und mitgenommen – entstammt dem Zufall. Es ist wahr, dass man in den Märchen bisweilen auch zufällige Ähnlichkeiten trifft, und Forke’s Folgerungen können theoretisch betrachtet zutreffend erscheinen, aber in Wirklichkeit verschwindet ihre Bedeutung fast gänzlich. Es ist nämlich zu bemerken, dass der erfahrene Forscher ziemlich leicht
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)