Fortunatusmärchen. Sowohl die Haupthandlung als einige einzelne Züge des letztgenannten kommen in den alten morgenländischen Märchen vor.[1]
Ebenso wie einige Völker grössere Voraussetzungen für das Schaffen von Märchen gehabt haben, so hat es sich augenscheinlich mit einigen Zeitepochen verhalten. In Indien hat es wahrscheinlich in älteren Zeiten besondere märchenerzeugende Epochen gegeben. In Europa scheint das Mittelalter eine solche gewesen zu sein. Die künftige Forschung wird wahrscheinlich viele von den in Europa entstandenen Märchen als mittelalterlich erweisen. Der abergläubische Geist des Mittelalters, das Geheimnisvolle und der Mystizismus desselben sind geeignet gewesen, das Entstehen der an die Wirklichkeit sich wenig kehrenden Märchen zu begünstigen.
Die einzelnen Märchen können also ihrem Alter nach sehr verschieden sein. Ein ägyptischer Papyrusfund beweist, dass das Märchen von 2 Brüdern und deren Abenteuern (Mt. 303) in Ägypten schon um 1300 v. Chr. bekannt war, und der Grieche Herodotos erzählt das bekannte Rampsinitmärchen (Mt. 950) schon im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Andere Märchen wieder stammen aus verhältnismässig späteren Zeiten. Die meisten neuen Märchen sind Schwänke.
Die weitere Verbreitung eines Märchens von seinem Entstehungsorte aus konnte durch die mündliche Erzählung und durch die Vermittlung der Literatur stattfinden. Dass die Märchen sich mündlich verbreiten, beweist unleugbar die Tatsache, dass die Märchenvorräte zweier Nachbarvölker einander mehr gleichen als diejenigen solcher Völker, die weiter voneinander wohnen. Die mündliche Verbreitung der Märchen leugnet kaum jemand mehr. Leicht bemerkt man auch in ihrer Verbreitung den Einfluss der Literatur.
Antti Aarne: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. Suomalaisen Tiedeakatemian Kustantama, Hamina 1913, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FFC13.djvu/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)