Wer kennt nicht den süßen Zauber des Verhüllten, Geheimnißvollen? – nicht den Zauber des verschleierten Antlitzes, und des verschleierten Auges? – nicht den Reiz eines noch geschlossenen Briefes – einer ankommenden Depesche – eines durchreisenden Courier's?
Wie natürlich daher der unendliche Reiz der Rebus, wie natürlich ihre grenzenlose Verbreitung in und außer dem Vaterlande! – In Gesellschaft fragt die Frau vom Hause dich als eingeführten Fremden nicht mehr um deine Familie, sie fragt nicht mehr nach deinem Leumund, Paß oder Steckbrief – um dein Wohl oder Weh, um Wetter oder Theater; sondern süß lispelnd mit hoffnungsstrahlendem, sehnendem Auge fragt sie: „Sie bringen uns jewiß doch man einen neuen Rebus mit? Wie?“ – und bringst du einen neuen, guten – Triumph! dann bist du immer willkommen, für immer geladen! – Bringst du keinen, Unglücklicher! dann stehle dich weinend fort u. s. w. oder grolle mit Gott, wie der Herr von Herwegh.
Und fort, vom Salon in's Vorzimmer, in die Küche bis auf die Straße, in alle Häuser hoch und nieder ranket der Rebus fort – unaufhaltsam – allum und überall Rebus – alles – alles kniet und huldigt dir, o göttlicher Rebus! – Aber wem danken wir das alles? schreit die Welt, wie heißt der Große, der Held, der Unübertreffliche – der Löwe des Tages, der Unmensch? (d. h. mehr als Mensch.)
Umsonst waren alle Anfragen von unserer Seite bei den trefflichsten Polizeiämtern – umsonst mühte sich unser thätiger Polizei-Rath Taucher für uns seit 3 Jahren ab – sogar die Frau Professorin *r in München, die sonst doch alles weiß, wußte es nicht.
Da las man am 17. Jänner 1845 im Quedlinburger Wochenanzeiger unter den Gestorbenen:
„Herr Wilh. Gotthelf Heinrich Korkbaum, genannt Suber, Schriftsteller und Occidentalist, 60 Jahre alt, an Gehirnvertrocknung.“ Darunter war vermuthlich von einem guten Freunde des Verblichenen folgende kurze biographische Notiz:
- „Korkbaum (Suber) war geboren 1795 in der Mark, der Sohn eines Landschullehrers; kam mit 20 Jahren nach Berlin, und wurde Ausgeher in der Paßvogel’schen Offizin daselbst. Der Hang zum Geheimnißvollen, noch mehr aufgeregt durch das Umhertragen der versiegelten Packete, Briefe und unaufgeschnittenen Exemplare; der tiefe Sinn, den er in den Druckfehlern der Correcturbögen fand, z. B. uno statt und, oder Waffer statt Wasser u. dgl. mehr, die er alle sich in ein eignes Buch eintrug, veranlaßte unsern Korkbaum zu Anfang des Jahres 37 unter dem latinisirten Namen Suber (nach Art: der Bauer in Agricola etc. etc.) sich mit Herausgabe eines periodisch erscheinenden Werkes zu befassen, unter dem Titel: „„Sammlung aller seit Erfindung der Buchdruckerkunst in deutschen Büchern befindlichen Druckfehler, mit raisonnirendem Texte““ was aber leider keinen Verleger fand. Auch B*** wies es zurück. Der 2. Band von Fritsch’s Hieroglyphen, der noch im selben Jahre sich zufällig in seine Hände und in seine beiden Dachstübchen, sein wirkliches und geistiges verirrte, brachte ihn auf die glückliche Idee, Hieroglyphen (die nach seiner Meinung nichts sind als ägyptische Rebus) auch im Deutschen anzuwenden, und er ließ zuerst etliche im Quedlinburger Wochenblatte eindrucken zu großer Freude von Jung und Alt, und setzte seinen Schriftstellernamen verkehrt als Autor darunter; daher der Name Rebus.“ u. s. f.
Wie seitdem die Lust am Rebus die höchsten Sprossen erstiegen, welchen grenzenlosen Enthusiaßmus die Welt dafür zeigt, ist überflüßig hier noch näher zu erörtern; beiläufig aber wollen wir nur auf den ungeheuern Nutzen derselben aufmerksam machen, der dadurch der Orthographie zufließt z. B. „Jener – ahl – zeig – m – eis – t – er – s – uniform“ od. „jud – er – hayn – er – ich – kanone – Thür – nicht – löwen,“ etc.
Die Monumentzeichnung anlangend, glauben wir, daß es vom Künstler sehr schön gedacht war, Herrn Suber nachläßig lehnend an einem Obelisken, dem Symbol des Geheimnißvollen, und mit einem gemüthlichen Blicke darzustellen, der sich in der großen Gesellschaft der Menschheit umschaut, wer seinen Rebus löst …
Ehre dem Ehre gebührt! Friede seiner Asche!
- Im Namen des Vereines für projectirte Monumente, stellen wir an alle Rebusfreunde die Aufforderung, den auf dem Relief befindlichen Rebus zu lösen. Das Portrait des glücklichen Auflösenden soll an dem Monumente jedenfalls Platz finden.
München, Verlag von Braun & Schneider. – Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)