Der Tanz ist das Pedal bei dem großen Orgelwerke der Liebe. – Nimm der Orgel das Pedal – den Baß: so bleibt eine Drehorgelei; nimm der Liebe die Füsse – resp. den Tanz: so geht und steht, hüpft und tanzt und schwebt nichts mehr in der Liebe. Und Flügel hat eben auch nicht jeder! ……
Den Werth des Tanzes hier genügend zu preisen, liegt ausser dem Bereiche des gegebenen Raumes; aber den bis jetzt ungekannten Erfinder des herrlichsten der Tänze, „der Polka,“ an’s Licht zu bringen, sei hiemit unsre schöne Aufgabe – sei uns Pflicht!
Wie die Dramatiker historische Personen verunstalten, ist hinlänglich bekannt; man denke an Don Carlos, Faust, Tell, Rumelpuff und andere. So erging es auch unserem Helden, den Nestroy in einer seiner Possen benützte, und auf Kosten der Wahrheit und unsterblichen Verdienstes, ein paar schöne Seiten desselben als Hauptsache hervorhob.
Wie viele berühmte Männer aller Zeiten, war auch er dem unteren Stande entsprossen; Familienverhältnisse verbieten uns aber bis jetzt, um Niemanden zu compromittiren, nähere Aufschlüsse über seine Herkunft u. s. f. zu geben; (wir deuten in der Beziehung nur auf das neuerdings in England geschehene Verbot der Polka auf Hofbällen, was allerdings mit wichtigen diplomatischen Fragen der Jetztzeit zusammenhängt) es genüge daher vor der Hand folgende Notiz:
- Franz Zwirn, zu Anfang dieses Jahrhunderts nahe bei Waldsassen geboren, und zufällig zu demselben Fache bestimmt, das uns etliche Jahrzehente zuvor den Erfinder des Frackes schenkte, war schon in zartester Jugend ein Liebling Terpsichorens, und mußte im 16. Jahre wegen einer Ehrensache, die er mit einem Schusterlehrling hatte, über die Grenze flüchten. Wir treffen ihn ein paar Jahre später auf dem Prager Nationaltheater als Statistiker und Partner unter dem angenommenen Namen: Tresak, mehr ausser, als auf der Bühne bekannt, als so eine Art Don Juan. Man erinnere sich an die damaligen eleganten Bälle im Convikt-Saale auf der Altstadt. In diese Zeit fällt auch die eigentliche Erfindung der Polka. Wieder ein paar Jahre später finden wir ihn in Warschau mit der Frau einen Kaufmannes durchgehend; jetzt ist er – wenigstens bürgerlich – todt, und tanzt in Amerika oder sonst wo – Polka. –
Die Galoppade ist ein türkisch-jäher Angriff auf das Mädchenherz – viel Geschrei und Lärm aber auch mit dem ersten Sturme abgeschlagen: der Polka hingegen, der schmachtend fordernden, widersteht kein Mädchenherz – dieses glückliche Milieu zwischen Tanz und festem Sturmschritt, diesen süsse Schwanken zwischen Walzer und Polnisch, das gemüthliche Deutsche und pikante slavische Element so reizend – so herrlich verschmolzen – ach! ……
Und was du liebst, wovon dir das Herz voll – davon geht dir der Mund über; – unsre deutsche Sprache ist wieder um ein paar schöne Worte reicher geworden: „ich polke, polk du, gepolkt, polken,“ wird indeß nicht nur vom Tanzen gebraucht, sondern auch als Schmeichellaut, als Liebes- Diminutivchen, Kosewort, und kann überhaupt alles bedeuten, aber immer nur Freudiges, Angenehmes, so z. B. „warum polkst du mich so an?“ (statt, schaust du mich so schmachtend an) oder „sie hat so etwas Polkendes in ihrem Blick“ (statt, Reizendes) sodann „Polkine“ (als Mädchenname) „Herzens-Polkerl“ u. s. f. –
Was schlüßlich die Ausstattung des Monumentes betrifft, so sind die jetztleeren Herzen an der Säule eben so viele Rahmen für die Namen ausgezeichneter Polkisten und Polkistinnen, oder solcher, die bei der Polka ihre Herzen verloren, und die der Comité in frankirten Briefen gefälligst überpolkt werden mögen.
München, Verlag von Braun & Schneider. – Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/116&oldid=- (Version vom 28.5.2019)