Seite:Fliegende Blätter 1.djvu/190

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dicken Lord weit vorausgeeilt war, so nahm sie Juniors Hand, und stellte ihn der Gesellschaft als künftigen Besitzer von Schloß Pimpelsheim und von der Frau Gräfin Viktorine, ihrer Tochter, vor, welche letztere[WS 1], als ihr Bräutigam so unerwartet hübsch und jung war, unanständig schnell Anstalt machte aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich zu kommen. Da lachte Junior hell auf und sprach: Potz Blitz, mir wär’s schon recht, wenn die Jungfer Viktorine meine Braut wäre, denn ich habe in meinem Leben kein so hübsches Mädel gesehen, wie die da. Aber setzte er traurig hinzu, es geht nicht, ich bin nur „mein jüngerer Bruder“ und diese alte dicke Figur, das ist Herr Lord Nothingnix, der sich hier mit Heirathen amüsiren will. — —



Alsobald fiel Gräfin Viktorine wieder in Ohnmacht und ihre Mutter ebenfalls in den Stuhl daneben, nachdem sie gerufen hatte: Quel erreur! quel affront! je me meurs! Alle Lorgnetten und Brillen waren aber voll Bewunderung auf Junior gerichtet und der geistreichste aller anwesenden Herren sprach: O du himmlisches Vaterland des göttlichen Shakspeare! Man begreift doch immer mehr, wie ihn nur dieser Boden, diese Luft, die so gleichsam mit Humor, Naivität und Kraft geschwängert sind, hervorbringen konnten, das beweiset jeder neue Sohn des weißen Albions, welcher zu uns kommt.

Mutter und Tochter ließen sich hinausführen und dann für den Abend entschuldigen; ein lustiger alter Onkel des Hauses suchte vergebens, auf ländliche Ungenirtheit sich stützend, statt ihrer die Honneurs zu machen. Die Gesellschaft zerstreute sich unter lebhaften Debatten über die so unerwartet interessanten Ereignisse des Abends, und voll angenehmer Erwartung der noch interessanteren Verwickelungen, welche dieser Abend nach sich ziehen mußte.

Am andern Tage beim Frühstück thaten die Gräfinnen als ob gar nichts vorgefallen wäre, behandelten den dicken Lord, als den künftigen Schwiegersohn des Hauses, mit der größten Auszeichnung, und Melchior junior, als den künftigen lieben nahen Verwandten, mit der größten Freundlichkeit, doch konnte Niemand unbemerkt bleiben, daß Gräfin Viktorinens Augen viel öfter und viel länger auf Junior, als auf ihrem Bräutigam ruhten, und daß diese schönen schwarzen Augen dann von einer so heftigen, nur durch eine gewisse Schwermuth gedämpften Liebe strahlten, wie sie bei einer Sechs- und zwanzigjährigen aller Ehren werth ist. Der günstige Leser wird es uns gewiß auf’s Wort glauben, wenn wir berichten, daß diese ganze Geschichte von a bis z den dicken Lord ungemein langweilte, den schlanken Melchior aber ungemein amüsirte. In dieser seiner Langweile war nun aber der Lord alle Tage widerwärtiger, Junior dagegen in seiner Fröhlichkeit immer anziehender, und die Gräfin Viktorine deßhalb immer weniger Herr ihrer Leidenschaft, und da selbst Mama am Ende auch nicht mehr viel dagegen hatte, wenn ihre Tochter den Lord Nothingnix junior heirathen würde, so suchte die Braut nur nach einer Gelegenheit, damit Melchior sich gegen sie aussprechen könnte; denn dieser hatte in seinem fortgesetzten Eifer, von dem Lord hier vielleicht die Langeweile zu lernen, nicht unterlassen, den Lord auch in seiner Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit gegen Viktorine nachzuahmen. Lange wollte sich aber die gewünschte Gelegenheit nicht zeigen, da hier wiederum der Lord (natürlich nur von ihm zu lernen wie man sich amüsirt) Melchiorn auch auf jedem Schritt und Tritt verfolgte, und Alles mitmachte, was dieser trieb, mochten es oft auch noch so ausgelassene Streiche bei Jagd, Fischfang, Gelag und Tanz seyn.



Eine merkwürdige Sitte war nun damals in der sogenannten guten alten Zeit, daß wenn die Frauenzimmer sich in der Früh die Haare machten oder machen ließen, dieselben in einen großen Pudermantel gehüllt oder auch nicht gehüllt vor einem großen Spiegel hinsaßen, und dann ihre Herren

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzere
Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/190&oldid=- (Version vom 19.7.2020)