Augen der nachsehenden Dirne verschwunden war: da überkam es diese wie leise Sehnsucht, und sie steckte das Ringlein – das einzige, abgerissene Glied aus der Kette menschlicher Freuden, so ihr bisher zu Theil geworden – mit einer zerdrückten Thräne an den Finger. Von der Stunde an aber hörte sie kein Wörtlein mehr von dem Kaufherrn. Wie es sonst auch vorkommen mag im Leben, so hatte er der schlimmen Tage kein Gedächtniß mehr, als die guten wieder an die Reihe kamen, und damit war auch des Dankes vergessen, welchen er seinem Retter zugesagt hatte. Der Perlenfischer kümmerte sich nicht darob, Margarethen aber kränkte es in die Seele hinein, weil Mutter und Geschwisterte schlecht dachten und redeten von dem undankbaren Manne. –
Nachgerade ging des Perlenfischers Hauswesen seinen alten, trübseligen Gang weiter, ja es verschlimmerte sich wo möglich, denn nach Jahr und Tag verfiel er in eine langdauernde Krankheit, die Folge seines ausschweifenden Trunkes, und der Gewissensangst, die auf ihm lastete. Da verließ Frau Barbara mit ihren ältern Töchtern das Haus in der Noth, und hängte sich an die Oesterreichischen, welche in der Umgegend in Quartier lagen. Dieses Vorkommniß wäre wohl dem langen Matheis zu jeder andern Zeit nicht gram gewesen; aber nun, da er krank und elend daniederlag, auch seine Söhne – weiß der Himmel, in welcher Herren Land herumschweiften – nun ging es ihm hart zu Gemüthe, und er wäre sicherlich vom Schragen nicht mehr aufgestanden, wenn nicht seine Margarethe bei ihm ausgehalten und seiner gepflegt hätte mit dem ganzen Reichthum ihrer Kindesliebe. Zugleich sah sie des Vaters Prest an als eine Fügung des Himmels, als eine Heimsuchung für die Sünden früherer Tage. Da legte sie Hand an’s Werk, ihn wieder umzulenken auf den rechten Weg, und verlobte sich zum Gnadenbilde der heiligen Jungfrau in Frauenzell, wenn ihr das fromme Vorhaben gelänge! –
Das war wohl gut, aber das Geschäft des Perlenfischers blieb liegen, die Waldhut ward versäumt, und der Abt von Walderbach merkte schon lange den Ausfall in den Einkünften des Stiftes, da seit langer Zeit wenige, und zuletzt gar keine Perlen mehr eingeliefert wurden.
Dazumal trug der ehrwürdige Herr Joannes Pichler die Insul im Kloster, ein frommer, gottesfürchtiger Prälat, dabei aber ernst und streng, und gewissenhaft in Ueberwachung und Mehrung des Stiftsgutes. – Als nun diesem zu Ohren kam, wie sich in den jüngsten Tagen die Holz- und Wildfrevel mehrten, und schier seit einem halben Jahre keine Perle mehr sei eingeliefert worden, schickte er einen Laienbruder ab nach des Perlenfischers Hütte, zu erforschen, wie es daselbst stünde. Da der Laienbruder den Mann krank danieder liegend fand, und merkte, wie er wohl für lange Zeit, vielleicht für immer untauglich wäre für sein Geschäft; nebstdem auch die schlechte Wirthschaft erfuhr, und wie die von Falkenstein bei der schlechten Aufsicht im Klosterbanne jageten nach Herzenslust: vermeldete er es dem Abte, und schilderte allenfalls die Sache noch um ein gut Theil schlimmer. – Der Prälat aber ließ alsobald dem Perlenfischer zu wissen machen, daß er sich um einen andern Dienst umsehen könne, wann er wolle. –
Das war der letzte, schwerste Schlag, der den kranken Mann treffen konnte, und er wußte mit seinem Töchterlein des Jammers kein Ende. In dieser Noth entschloß sich Margarethe, selbst nach Walderbach zu gehen, und den Abt fußfällig zu bitten, daß er nur kurze Zeit Nachsicht haben, und den siechen Vater nicht aus der Hütte werfen möge. Gedacht – gethan! Als nun die hübsche, blasse Dirne mit dem farbigen Tuch um den Kopf, drunter die dunkelbraunen Haare in reichen Flechten hervorquollen, mit dem Schmerzenszug im frommen Gesichte weinend und jammernd vor dem Prälaten stand, die Schürze nicht wegbrachte von den Augen, dabei vor Schluchzen kaum ihre Bitte zu stammeln vermochte: da ergriff diesen ein mitleidiges Gefühl, und er gestattete dem Vater um der Tochter willen noch eine Frist von zween Monden. Nach dieser Zeit aber müsse eine bestimmte Anzahl Perlen eingeliefert seyn, widrigenfalls dem Perlenfischer der Nachfolger in’s Haus gesetzt würde, und er dann sehen möge, wo er Unterschluf fände. –
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/96&oldid=- (Version vom 20.11.2016)