Bilder beschaut und geprüft, und schnell erwachte der Vorsatz in ihr, Mittags in’s berühmte Putzwaaren-Magazin der Madame Z*** zu fahren. „O, wenn ich nur zwei so ähnliche Stoffe zu Ueberröcken fände!“ war der schönen Dame Morgengebet und es trieb sie heute zeitlicher als sonst zur Toilette. Diese Toilette währte aber volle zwei Stunden, denn sie wurde durch die verschiedenartigsten Unterbrechungen in die Länge gezogen, während dem die arme Zofe an der Seite ihrer Tyrannin vergeblich Schildwache stehen mußte. Beim Frisiren erst begann ihre volle Activität, aber auch der Höllenmoment ihres Daseins, denn zwei- bis dreimal mußte die Frisur verändert werden, oder flog das Häubchen der Dulderin an den Kopf, je nach der Laune der Dame von gutem Ton.
Nach vollendeter Toilette begab sich die Gräfin in den Salon, ordnete die Albums und Almanache auf den Tischen, und legte Lacrételle's Histoire du Consulat et de l’Empire zurecht, um den täglichen Visiten glauben zu machen, sie befasse sich nicht blos mit Romanen, sondern auch mit den neuesten, ernstern Erscheinungen der französischen Literatur. Dem war aber nicht so. Unsere niedliche Gräfin kannte von Allem dem keine Sylbe, und blickte sie zuweilen in ein Buch, so waren es nur die krankhaften Romane irgend eines modernen Franzosen, die ihr einiges Interesse einflößten. Deutsche Literatur ist für den guten Ton viel zu plump, viel zu langweilig. Vieles Nachdenken gehört auf den Katheder, nicht in die witzsprudeln-wollenden Räume eines heutigen Salons. Dafür paßt am besten französische Witzelei und Frivolität. Alles Nationelle trägt den Stempel der Gemeinheit oder der Demagogie, vielleicht deßhalb, weil man das Tiefere unsers deutschen Gemüthes und unsere Gediegenheit in diesen Sphären nicht zu begreifen vermag.
Mit Ungeduld harrte die Gräfin der ersehnten Stunde, welche ihr die neuesten Stoffe zu den beiden Ueberröcken vor Augen bringen würde. Bis zwei Uhr hatte sie den Wagen bestellt. Früher das Haus zu verlassen, wäre ein Verstoß gegen die gute Sitte. Ungeduldig schritt sie im Gemache auf und nieder, warf sich bald in diesen, bald in jenen Armstuhl, und blätterte in den unzähligen Albums und Taschenbüchern, mit Neid die lieblichen Frauengesichter in denselben betrachtend. Die arme Dame empfand schon wieder Langeweile. Der Tag ist für diese Geschöpfe zu lang, viel zu lang. Mit Schaudern sehen sie dem Wachsen desselben entgegen, indeß wir es mit Entzücken beobachten und uns der süßen Hoffnung der baldigen Erlösung von den städtischen Winterqualen erfreuen.
Der anglomanisirte Bediente meldete den Wagen. Hastig sprang die Gräfin vom Stuhle auf, schellte der Zofe und befahl Hut und Shawl zu bringen, dann trat sie vor den Spiegel, setzte den eleganten Rosahut auf das niedliche Köpfchen, wobei sie mit den kokettesten Mienen wohl hundertmal in das schmeichlerische Glas blickte und hüllte sich in den schweren Shawl. Das zarte Füßchen stampfte vor Ungeduld den Boden, als die engen Handschuhe, trotz aller Elasticität, sich dennoch der Hand nicht fügen wollten, langte sodann nach dem parfümirten Schnupftuche und hüpfte die Treppe hinab.
Die elegante Kalesche fuhr vor. Auf dem hohen Sitze saß ein junger Mensch, von Geburt aus mit schwarzem Kopfhaare begabt, der Anglomanie aber und des guten Tones halber mit einer weißen Perrücke angethan. Dieser Pseudo-Britte war aus dem Dorfe Feldmoching gebürtig, einer Ortschaft in einer reizenden, der Lüneburger-Haide ähnlichen Gegend gelegen. Sechs Jahre anglomanischer Stallstudien hatten ihn zum würdigen Perrücken-Träger emancipirt und dem deutschen Michel englisches Halbblut in die Adern rinnen
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/102&oldid=- (Version vom 15.9.2022)