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Nro. 39.
15. II. Band.
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Der letzte Virtuose.
Eine Phantasie.




1.
Die Taufe.



Es war ein großer Jubel im Hause des Kapellmeisters, Komponisten und ausübenden Künstlers Sebastian Dampf, als seine geliebte Ehefrau, die genugsam bekannte Citherspielerin Luitgarde Dampf, geborne Wagen, von einem Knäblein entbunden wurde. Das Knäblein schien sich einer vollkommenen Gesundheit zu erfreuen, soweit es nämlich die Umstände erlaubten; denn es brachte eine tüchtige Stimme mit zur Welt, von deren Gewalt es bald Zeugniß ablegte. Sein Aussehen glich so ziemlich dem anderer neugeborner Menschenkinder, nur was den Bau der Hände und Füße betrifft, so zeigten sich einige merkliche Abweichungen von dem der fünf bekannten Raçen. Wer das Kind zum erstenmale sah, hätte darauf schwören mögen, seine Mutter habe sich an einer Spinne versehen, so unverhältnißmäßig lange spinnbeinige Finger trugen seine Hände, und fast gerade so wie sie sahen auch seine Füße aus. Sebastian Dampf erkannte an diesen von der Natur gegebenen Merkmalen die große Zukunft seines Sohnes: er war zum Pianisten geboren.

Nachdem die ersten Stunden glücklicher Vaterfreude entflogen waren, kam schon die Sorge angezogen: die Sorge um den Namen des Kindes. Wohl wußte es der Vater, denn er hatte es ja selbst erfahren müssen, daß von dem Namen ein großer Theil des Glückes, des Rufes, des Ruhmes, und der Unsterblichkeit eines Menschen abhänge; Sebastian Dampf, diese beiden Worte waren sein eigen Unglück gewesen, hätte ihm sein Vater einen wohlklingenderen, runderen, romantischen Namen hinterlassen, so wären die Namen Mozart und Beethoven durch den Glanz seines Ruhmes verfinstert worden, aber Sebastian Dampf – das war sein Weltschmerz! So unglücklich sollte sein Sohn nicht werden, der Name Dampf sollte sich von nun an nicht weiter forterben, sein Sohn mußte einen andern Namen erhalten, aber welchen? das war die schwierige Frage.

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner sorgenbelasteten Brust; auch seine Frau seufzte schwer auf ihrem Lager, denn dieselbe Sorge beängstigte auch ihr Mutterherz. – Nur das Kindlein schien von dieser Sorge wenig zu empfinden, denn nachdem es sich ausgeweint hatte, begann es mit den Fingern der Hände und Füße auf die Decke zu trommeln: so frühe fühlte es seine zukünftige Bestimmung.

Der Vater runzelte kummervoll die Stirne, die Mutter ächzte noch immer fort, da erheiterten sich plötzlich ihre Gesichtszüge und sie verlangte nach ihrer Cither.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/117&oldid=- (Version vom 14.9.2022)