Lob- und Trinklieder auf den Wein geschrieben hat, als Gleim und Hagedorn sammt dem Wandsbecker Boten; sie dient als Leuchter, wie das mit Papier umwickelte Kerzenstümpchen bezeugt, das in dem Halse derselben steckt. An der Wand hängt ein lederner Tabaksbeutel, und in der Ecke am Fenster lehnt eine thönerne Tabakspfeife mit langem Rohr, von Spinnen gänzlich übersponnen. Jener würde längst von den Ratten und Mäusen, welche das Kämmerlein mit dem Musensohne theilen, verzehrt sein, und es ist sein Glück, daß er hoch an der Wand hängt; aber dem Gekrabbel nach zu urtheilen, dürfte er nicht mehr lang eines unversehrten Daseins sich erfreuen, da es scheint, als ob die Feinde einen Minirgang angelegt hätten, und den Angriff von innen aus beabsichtigten.
Horch! schon ruft der Glocke eherne Stimme die vierte Stunde über die nebelgehüllte Stadt, - Armer Dichter! schon dämmert es, und noch hat Niemand verlangt nach den Erzeugnissen deines Geistes, trotzdem, daß unten am Fensterladen mit zierlichen Buchstaben geschrieben, nicht lithographirt, steht: „Hier werden Namensfest-, Kindstauf-, Hochzeit-, Leichen-, Neujahr-, Schmaus und Trinkgedichte fabrizirt; man garantirt strengste Verschwiegenheit und kopirt auch Briefe.“ Ein mächtiger Vorrath ist aufgeschichtet, weil man aus der Dichter Werken die Größe ihres Hungers erkennen kann; denn je bogenreicher ein Werk, desto größer, desto anhaltender war der Hunger des Schreibers, wie selbst ein Dichter sagt.
Jetzt springt der Dichter auf, rückt die Mütze vom Ohr, und horcht auf die nahenden Tritte, welche die Stiege heraufpoltern, „Endlich einmal“ - macht sich seine gepreßte Seele durch einen langen Seufzer Luft, und er labt sich schon in Gedanken an einem Stücklein Käs und einigen Broden, die ihm in einer erquickenden Nähe erscheinen; aber wie schaudert er zurück, als durch die geöffnete Thür das fette roth aufgedunsene Vollmondgesicht der Hausbesitzerin hereinstrahlt, während der mächtige Schlüsselbund an ihrem Gürtel klirrt und klappert.
„Ei! Herr Faullenzer!“ begann die Donna mit gellender Stimme, „kann er mich bezahlen oder nicht? Morgen ist Weihnachten; da halte ich Jahresrechnung, - Scher er sich zum Teufel, versteht er mich, zum Teufel, wenn er mich nicht bezahlen kann. Solche Tagediebe und Müssiggänger, die den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen, brauche ich nicht in meinem Haus. Mein Haus will lauter ehrliche Leute, nicht solche, die sich bis zum lieben Abend auf der Streue dehnen. - Verstanden Musjö? - Wär es nicht zu kalt in diesem Loche, ich hätte ihm noch mehr zu sagen, aber“ - hier schritt die Gnädige stolz zur Thür hinaus, und wälzte ihre Masse über die knarrenden Stiegen hinab. Der Dichter schaute der dicken Dame mit triumphirenden Blicken nach, und pries sich glücklich, der Fürchterlichen so leichten Kaufes entronnen zu sein. Im ersten Freudentaumel machte er eine Ode auf Gott Apollo, der ihn beschützt in dieser Noth, und mit zitternden Fingern kritzelte er die Zeilen mit Bleistift aufs Papier.
Schon wieder poltert es; doch sind es nur des Dichters Zimmergefährten, welche die eingebrochene Dämmerung aus ihren Schlupfwinkeln lockt zu geselligem Vergnügen. Das ärgert den Getäuschten, welcher glaubte, daß ein Gedichtbedürftiger die Stiege heraufpolterte, und im Grimm, vervielfacht durch des Hungers nagenden Zahn, packt er mit kräftig hagerer Faust einen mächtigen Folianten, und schleudert ihn krachend an die dumpfhallenden Wände. Alles ist still! Aber gar bald beginnt das Getümmel von neuem, und zuletzt wird das denn doch dem Dichter zu arg; er erhebt sich mühevoll und rüstet sich zum Ausgehen, um vielleicht dem Glücke, das ihn heute nun einmal durchaus nicht aufsuchen will, mit Gewalt nachzujagen.
Nächst dem Thürmer ist er wohl die höchste Person in der Stadt, und die Aussicht von seinem mit Papier verklebten Fensterlein ist herrlich, wenn man die abstoßende Wirklichkeit wegrechnet; schwarze Kamine mit braunen Pechstreifen, dunkelgraue Feuermauern und eingeschneite Dächer, der Tummelplatz alter Kater, begrenzen den Blick. Das grämt aber den Dichter wenig: die Wirklichkeit ist immer rauh und abstoßend, und er lebt in andern Gauen, bildet sich eine Gobi zur blühendsten Trift, und denkt sich eine Sahara zur reichsten Landschaft; er weiß nichts von des Winters Kälte, kennt nicht des Sommers Glühhitze, noch bringt ihm der April trübe Tage; über ihm strahlt ein ewig heiterer Himmel. -
Der Dichter bürstete den oft geflickten schwarzen Frack aus, fuhr mit derselben Bürste einigemal über die röthlichen Stiefel, mit der rechten Hand durch die Haare, drückte den narbenvollen Hut in die Stirne und rannte die Stiegen hinab, hinaus in die belebten Straßen. Er durchwanderte die hellerleuchteten Gassen, sah die glänzenden funkelnden Buden voll der buntesten Gegenstände, und hörte den Jubel und die laute Freude der Kinder und Käufer, welche in scherzenden schäckernden Haufen auf und abzogen. Der Anblick der aufgethürmten Eßwaaren, die duftenden Käse, die feinen Schinken und Würste, die mächtigen Haufen schwarzen und weißen Brodes, von denen ein einziges seiner Sehnsucht genügt hätte; der Anblick that seinen Augen wehe und der zurückgehaltene Hunger brach mit neuer Gewalt los. Mit Wehmuth dachte er an die längst gestorbene Mutter, an den alten Vater, den guten lieben Mann, er dachte an seine eigene Person, Thränen perlten über seine abgehärmten Wangen und er konnte nicht länger das Treiben dieser frohen und freudigen Gestalten anschauen. In die dunkelsten und engsten Winkel und Gäßchen trieb ihn seine Wehmuth und verzweifelnde schwarze Gedanken bemächtigten sich des Verlassenen.
„Mir blüht bei hellem Kerzenlicht
Kein Weihnachtsbaum empor,
Und keiner Freude Schimmer bricht
Durchs engverschloßne Thor.
Wenn eine Nuß am Baume hängt,
So ist sie taub und hohl,
Und wenn am schwanken Zweig was hängt,
So bin ich’s selber wohl.“
Solcher Art mochten des Armen Gedanken auf der traurigen Wanderung sein.
Der kalte Wind durchsauste seinen hagern Körper, daß er mit den Zähnen klapperte, und vergebens rannte er wie toll durch die Straßen, um die kalten Glieder zu erwärmen. Doch
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/126&oldid=- (Version vom 1.9.2023)