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Nro. 26.
2. II. Band.
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Dilettanten.


Kein Mensch ist bescheidener als das Genie; Niemand ist schüchterner als der wahre Künstler; und derjenige, welcher in der Kunstwelt mit kühnen Schwingen sich erhebt, tritt in der wirklichen gewöhnlich nur zagend auf. Ich kenne wohl den Goethe’schen Spruch: „Nur die Lumpe sind bescheiden.“ Goethe meinte aber auch nur jene lumpige Bescheidenheit, aus der, wie aus dem zerrissenen Mantel des Antisthenes, die cynische Unbescheidenheit frech hervorguckt. Es hat noch nie ein gewaltiger Genius gelebt, der schnurstracks in den Tempel der Unsterblichkeit eingegangen wäre; selbst der größte unter den großen Geistern hat erst nach langem Irren und heißen Streben die Pforten desselben erreicht. Ganz anders ist es mit dem Dilettanten! Weil er sich nicht über die Erde erheben kann, sieht er den Himmel natürlich in viel geringerer Entfernung die Erde berühren, als derjenige, welcher einen hohen Standpunkt erreicht hat.

Der Dilettant fällt gleich als Meister vom Himmel; er stürzt gleichsam in den Tempel der Unsterblichkeit. Er wartet nicht erst, bis die Anerkennung ihm den Preis ertheilt; nein, er pflückt sich den Lorbeer selbst; er flicht ihn mit eigenen Fingern zum Kranze und setzt sich ihn mit eigenen Händen auf’s Haupt. Er wendet viel mehr Sorgfalt auf die Anerkennung seiner selbst, als auf seine Schöpfungen, und giebt dem Weihrauchfaß, mit dem er sich selbst beräuchert, viel mehr Schwung, als seinen Werken, deren einziger Bewunderer er allein ist.

Der Dilettant unterscheidet sich aber von dem wahren Künstler besonders darin, daß er nicht wie dieser die Schwierigkeit einsieht, selbst nur in einem einzigen Kunstgebiete sich hervorzuthun: der Dilettant glaubt sich vielmehr in allen Künsten Herr und Meister. Er umarmt nicht wie das wahre Genie nur eine Muse, sondern glaubt wie im Kegelspiel mit kräftigem Arme alle Neune – über den Haufen werfen zu können. Der Dilettant trinkt nicht, er säuft aus dem kastalischen Quell, und nicht um sich zu begeistern, sondern um oft und gelind – abzuführen.

Man muß nicht den Kunstfreund mit dem Dilettanten, nicht die Kunstliebe mit dem Dilettantismus verwechseln. Der Kunstfreund huldigt der Kunst, weil sie sein Herz veredelt und seinen Geist erhebt. Er ist Gläubiger, aber nicht Priester. Er betet die Kunst an und bringt ihr aufrichtige Opfer, während der Dilettant sich selbst anbetet und die Kunst seiner Eitelkeit zum Opfer bringt.

Man wird vielleicht dieses Urtheil über Dilettanten zu hart finden, allein kein Dilettant wird sich dadurch verletzt fühlen, weil sich kein Dilettant für einen solchen, sondern für einen Künstler hält. Aber ich will es meinen Lesern nur gestehen, daß ich auch noch einen Privathaß gegen die Dilettanten hege, weil mir der Dilettantismus schon so viele qualvolle Stunden, so viele schlaflose Nächte verursacht hat. Der Dilettantismus hat mich von jeher wie ein böser Geist in tausend Gestalten verfolgt. In Frankfurt am Main hat er mich in Gestalt eines Sängers fast zum Wahnsinn gebracht. Dieser, ich meine den Sänger, der ein Zimmer bewohnte, welches von dem meinigen nur durch eine dünne Wand getrennt war, sang regelmäßig die

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 009. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/13&oldid=- (Version vom 12.12.2020)