Lenardo kann vor Staunen keine Antwort finden, schleicht zur Seite, beißt in den Apfel, und zieht mit den Zähnen einen Liebesbrief heraus, dessen Inhalt er vor männiglich verheimlicht, und gibt seine Verwunderung durch unterschiedliche Purzelbäume, Luftsprünge, anmuthige Grimassen und schnelles Farbwechseln kund. Ihn beobachtet heimlich der Molch.
Was sieht mein rollend Aug! Was muß mir werden kund?
Blandine, Falsche du, mit deinem Rosenmund!
Du treibst dein Minnespiel so offen und so frei,
Und ziehst uns Allen vor den schlechten Hoflakai?
Du wirfst dein nobles Herz so weg an die Bagage?
Und hast dich ganz vergafft in eine Kindsvisage?
Ha! wie mein heißes Blut durch Hirn und Adern tobt –
Mein Dolch, dreischneidig, werd’ an jenem Kerl erprobt! – –
Das Ende dieses herz- und gemüthvollen Monologs wird durch einige Fledermäuse abgebrochen, welche sich auf eine höchst störende Weise unter die Gesellschaft mischen, so daß diese in völliger Verwirrung aufgelöst, schnell die Köpfe zusammensteckt, über welche höchst malerische Gruppe der Vorhang majestätisch langsam sich herabsenkt.
Hier ein Blatt aus dem Lebensbuche eines meiner Bekannten. Er hatte eine ältere Freundin, um so zu sagen eine Ehrenfreundin (wie es Ehrendamen giebt) Minona Blümchen. Sie war eine bemittelte Wittwe, in den Classikern belesen, durch das Conversationslexicon gebildet, trotz ihren hohen Jahren etwas sentimental. Namentlich war er dazu verpflichtet, ihr neu erschienene Bücher zur Lektüre vorzuschlagen, solche zu verschaffen und überhaupt dies und jenes zu besorgen. Den Tag, wo sie keinen Auftrag ertheilt, keinen Brief geschrieben, hielt sie für verloren, und mein Bekannter war gutwillig genug, sich ihr zur Befriedigung dieser Liebhaberei dienstwillig herzugeben. Er wohnte in der Hauptstadt, sie in Rosenloch, einem vielbesuchten, als Vergnügungsort beliebten und angesehenen Landstädtchen in der Nähe der Residenz. Die Briefcommunication war somit durch Posten, Landkutschen, Landboten, ankommende und abgehende Bekannte ungemein gefördert.
Der Inhalt der Briefe gestaltete sich beispielsweise etwa folgendermaßen.
Der Wonnemond, theuerster Freund, ist wie eine junge Rosenknospe aufgebrochen. Wie bedauere ich Sie in Ihrer großen Stadt, wo Sie einen stundenlangen Weg brauchen, um zu wissen, daß Frühling ist. Hier in Rosenloch tritt man, um so zu sagen, mit jedem Schritte auf den Frühling. Die Bäume grünen, die Blumen blühen und die Vögel singen. Ich gehe täglich spazieren, Vor- und Nachmittags, denn ich bekenne meine Schwäche, eine Freundin der Naturschönheiten zu sein. Wenn ich Sie und die Natur nicht hätte, so stände ich ja Mutterseelen allein. Da sitze ich denn bei dem künstlichen Wasserfalle auf einem der großen bemoosten Felssteine, achte der Tropfen nicht, die auf mein Gewand spritzen, und lese in irgend einem der schönen Bücher, die ich durch Ihre gütige Vermittlung erhalte.
Apropos! Ich bin in Verlegenheit um einen Sommerhut, wie ihn die Mode vorschreibt. Nicht wahr, theuerster Freund! Sie besorgen mir einen solchen? Sie kennen ja Madame Strusel, sie war neulich hier in Rosenloch, und trug einen Sommerhut, der mir außerordentlich wohl gefiel. Sie wird Ihnen sagen, in welchem Gewölbe Sie einen solchen erhalten können. Nicht wahr, Sie haben die Güte? Mit Geist und Herz
Herzlichen Dank Ihnen, theuerster Freund! für die prompte Besorgung. Der Sommerhut hat ganz meinen Beifall. Beiliegend erfolgt auch die Auslage mit herzlich wiederholter Darlegung meines innigsten Dankgefühls, auch ein Paar Vergißmeinnicht, welche ich mit eigner Hand hinter unserm Hause gepflückt habe. Ich habe mir dabei, mit Respekt zu sagen, die Füße erkältet, indem ich in das trügliche Blumenufer des Grabens hinunterglitt. Der Husten, den ich mir dabei geholt, macht mich unendlich glücklich, weil ich mir ihn für Sie geholt habe.
Beglücken Sie doch einmal Rosenloch mit Ihrer schätzbaren Gegenwart! Auch darf ich Sie wohl bitten, mir ein Tütchen mit Malzzucker gegen meinen Husten zu besorgen. In unserm
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/23&oldid=- (Version vom 14.2.2021)