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„Ja,“ sagt der Geheimnißvolle, es ist zu merkwürdig; man sollte es von Herrn A nicht denken; aber es muß heraus. Sie wollen ihm wohl, Herr Hofrath! aber ich rathe Ihnen vorsichtiger zu sein; wie man hört, lebt Herr A. nicht in der besten Gesellschaft.“ —

„Das ist nicht möglich,“ ruft der Hofrath, Herr A. ist ein sehr liebenswürdiger, ordentlicher junger Mann; oder sollte er sich plötzlich so sehr zu seinem Nachtheil verändert haben?“ —

„Ja, ich weiß nicht,“ sagt der Geheimnißvolle, „man horcht nur bald da bald dorthin; man hört z. B. von einem Freunde, der bei einem ziemlich berüchtigten Weinkeller vorbeigegangen; da habe er einen wüsten Lärmen vernommen, wie er gewöhnlich bei einer Schlägerei Trunkener stattfinde, und da“ —

Der Hofrath horcht auf’s gespannteste: „Nun, und da?“

„Ja, das ist eigentlich das Geheimniß, kurz, jenem Freunde, den ich nicht nennen will, schien aus dem wilden Gewirre eine Stimme wie die des Herrn A. laut zu werden, überhaupt, ich könnte noch mancherlei sagen, ich habe jedoch schon zu viel verrathen, u. s. w."

Man könnte diesen Geheimnißkrämer in die Reihe der böswilligen Narren einordnen, und es ist nicht zu läugnen, daß er zuweilen mit seinen angedeuteten Geheimnissen Unfrieden anzurichten im Stande ist. Dies liegt jedoch nicht in seiner Absicht, er will eben nur unterhalten, etwas Neues mittheilen und zugleich sich den Anschein geben, als sei er im Besitz der wichtigsten Geheimnisse. Im Gefühle seiner Nichtigkeit weiß er kein anderes Mittel, sein gesellschaftliches Ansehen aufrecht zu erhalten; auch ist durch Gewöhnung die Geheimnißthuerei bei ihm zur zweiten Natur geworden und in eine stille Narrheit ausgeartet. Bis zu welchem Grade, beweist etwa folgendes kurzes Gespräch.

Der Geheimnißkrämer nähert sich Herrn C., er hüstelt und räuspert sich; er hat offenbar ein Geheimniß auf dem Herzen.

„Herr C.!“ flüstert er. C. wendet sich zu ihm.

„Ach, Herr C.! ich habe Ihnen schon lange Etwas mittheilen wollen; es preßt mir noch das Herz ab; wenn ich nur auf Ihre vollkommene Verschwiegenheit rechnen könnte!“ —

C. sagt: an seiner Verschwiegenheit wäre gar nicht zu zweifeln; er solle sich nur mittheilen. —

„Ja es ist nur gar zu merkwürdig; Niemand außer uns Beiden darf davon wissen. Hören Sie, Niemand!“ —

Herr C. wiederholt: Niemand! —

„Sie wissen also noch nichts?“ —

Herr C. wiederholt: Nichts. —

„Noch gar nichts?“

Noch gar nichts. —

„Ich meine von Herrn D. drüben?“ —

Habe nicht einmal die Ehre, ihn zu kennen.

„Ach so, ich meine den Herrn, welcher neben Madame E. sitzt.“ —

Habe nicht das Vergnügen. —

„Das ist Jammerschade! — Da wird Ihnen auch die Geschichte nicht so sehr interessant sein, eine so allerliebste Geschichte sie auch ist; Herr D. spielt dabei eine ganz merkwürdige, um nicht zu sagen zweideutige Rolle. Aber die Geschichte von Madame E. wissen Sie doch?“ —

Durchaus nicht. —

„Ei! die ist doch gar zu merkwürdig; die sollten Sie kennen; sie ist wirklich zum Todtlachen.“ —

Nun, so erzählen Sie doch! —

Der Geheimnisvolle schüttelte bedenklich den Kopf.

„Nein! wissen Sie: die Geschichte ist mir als Geheimniß anvertraut worden, von einer Freundin der Madame E., welche um all ihre Familiengeheimnisse weiß. Ich will mich noch besser darüber unterrichten. Sollten Sie nichts von anderer Seite erfahren, so treffen wir uns wohl in acht Tagen wieder hier; ich nehme mir auch wohl das Vergnügen, bei Ihnen vorzusprechen. Also spätestens heut über acht Tage, Herr C.! Heut über acht Tage. Die Geschichte ist gar zu mertwürdig, wahrhaft zum Todtlachen!“

Aber der Geheimnißkrämer bleibt nicht immer im Kreise der gerade gegenwärtig Versammelten, er hat auch sehr wichtige exoterische Geheimnisse, welche zum Theil politischer Natur sind. Er nähert sich z. B. einem Kreise, wo zwei oder drei oder Mehrere, wie viel ihrer gerade sind, zusammenstehen. Er weiß sich auf irgend eine oder die andere Weise in ihr Gespräch zu mischen. Einer der Herren erzählt irgend ein interessantes Tagsereigniß.

„Ja, es ist merkwürdig,“ äußert der Geheimnißvolle, „was für wunderliche Dinge jetzt in der Welt vorkommen. Es geschieht immer das, was man am wenigsten erwartet.“ —

,,Wie umgekehrt immer das, was man am meisten erwartete, nicht geschieht“, äußert einer der Herren.

„Das eben ist’s, was ich sagen wollte“, fährt der Geheimnißvolle fort: „die Ereignisse fallen jetzt mit der Thüre in’s Haus. Wer sollte denken, daß sich so etwas in unsrer ruhigen, soliden Stadt ereignen[WS 1] könnte? Es ist zu merkwürdig!“

Man fragt, man forscht; immer bedenklicher, immer geheimnißvoller wird seine Miene.

„Also Sie wissen noch gar nichts?“ Ist Ihnen nichts von der mysteriösen Person erzählt worden, welche im deutschen Hause heut Mittag mit großem Gefolge eingekehrt ist? Von den Anstalten, welche unsere Polizei getroffen hat, um Gott weiß was zu verhüten? Von den Estafetten, welche sofort nach der Hauptstadt abgeschickt wurden?“

Die Herren wissen von alledem nichts, aber das Ereigniß interessirt sie, wie alles Mysteriöse. Man fragt, wer die Person sei? zu welchem Zwecke sie hier eingetroffen? Auf welche Weise er hinter das Geheimniß gekommen u. s. w.

Der Geheimnißvolle erwidert: er habe den Reisewagen, der durch dichte Vorhänge fest verwahrt gewesen sei, und das Wappen daran mit eigenen Augen gesehen. Eine männliche Gestalt sei aus dem Wagen, und, in einen militärischen Mantel gehüllt, eilig in die Thür des Gasthauses geschlüpft u. s. w.

„Wichtige politische Combinationen“, sagt er, „sind im Gange, das kann ich Sie versichern. Ich habe selbst mit dem Polizeisergeanten X. gesprochen; der mir, unter dem Siegel

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Vorlage: erreignen.
Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/8&oldid=- (Version vom 19.11.2020)