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„Waren Sie nicht so gütig, mich auf heute Abend zu einem thé dansant einzuladen?“ fragte ich meinerseits.

„Zu einem thé dansant?“ wiederholte der Banquier mit einer in seinen gegenwärtigen Umständen leichtverzeihlichen sauern Miene und setzte dann ironisch hinzu: „Sie sehen, lieber Doktor, daß mir in diesem Augenblicke das Tanzen gar nicht einfallen kann.“

„Ist heute nicht der vierundzwanzigste?“ fragte ich zerknirscht.

„Freilich,“ erwiderte der Banquier; „aber der thé dansant, zu welchem ich so frei war, Sie einzuladen, hat bereits am vierundzwanzigsten des vorigen Monats stattgefunden. Man hat Ihnen wahrscheinlich in Ihrem Hause die schriftliche Einladung einen Monat später eingehändigt.“

„Ja,“ erwiderte ich niedergeschmettert, „mein nachlässiger Hausherr hat die Einladung gewiß so lange in seinem Zimmer liegen lassen und ich habe nicht genau aufs Datum geachtet. Nehmen Sie es nur ja nicht übel.“

„Es thut mir sehr leid‚“ erwiderte der Banquier seufzend, „daß ein solch höchst unangenehmer Zufall eingetreten; doppelt leid thut mir’s, daß Sie mich in einer solchen Situation gefunden. Ich habe dem Bedienten die strenge Weisung gegeben, daß er außer dem Doctor Niemanden einlasse.“ –

„Sie müssen den Bedienten entschuldigen,“ bemerkte ich mit gebrochenem Herzen, und indem ich den Chapeau, der mir vor Aufregung auf den Boden gefallen war, wieder aufhob. „Ich sagte ihm, ich sei ein Doctor; er konnte natürlich nicht zwischen den Facultäten unterscheiden, und hat den Doctor der Philosophie und der freien Künste für einen Doktor der Medizin und der Geburtshilfe genommen.“

„Ja, ja, so wird es sein!“ ächzte der Banquier; und da ich es höchst überflüssig fand, dieses tête a tête noch länger fortzusetzen, so empfahl ich mich unter höchst verkehrten Redensarten; denn ich war vor Aerger kaum meiner mächtig. Auf der Treppe rannte ich in meinem blinden Zorn ein zartes Wesen um; ich glaube, es war des Banquiers einzige Tochter, die Blume, die Venus, die Perle, der Diamant. Ich konnte die Gestalt nicht ganz unterscheiden; ich hörte nur die Worte: „Sie könnten doch wohl etwas deutlicher sehen, wohin Ihr Weg Sie führt!“

Als ich wieder auf der Straße war, gab ich mir die unzweideutigsten Beweise von Grobheit. Ich führte mich durch die dicksten Pfützen und strich mit den gelben Glacéhandschuhen wider die Mauern, damit sie schwarz würden; denn das ärgerlichste war mir jetzt, daß ich so geputzt aussah, und Niemanden, der mich etwa um die Ursache meiner plötzlichen Schönheit hätte fragen können, die Wahrheit sagen durfte, ohne mich lächerlich zu machen. Nicht einmal meinem Hausherrn, der doch die ganze Misere verschuldet hatte, sagte ich ein Wort, sondern schlich in mein Zimmer, ballte die Faust gegen mein satyrisches Geschick, gab mir eine heftige Ohrfeige, und, als ich darüber ärgerlich wurde, noch eine zweite; entkleidete mich, indem ich mir die anzüglichsten Dinge ins Gesicht sagte, und schleuderte mich, ohne mir einen Bissen Abendbrot zu gönnen, schnell ins Bett.

Was hat mir mein satyrisches Schicksal voriges Jahr erst für einen Streich gespielt! Ich war bei einer ehrwürdigen Familie eingeführt, die mich schon sehr häufig durch Dienste mannigfacher Art verbunden hatte. Das Familienhaupt sah seinem siebenzigsten Geburtstage entgegen; dieser Tag sollte auf’s schönste gefeiert werden, was ohne Poesie natürlich gar nicht geschehen konnte. Man wendet sich an mich. Ich dichte eine Allegorie, in welcher die Frau, die Kinder und Enkel des Jubilars mit Rollen bedacht wurden. In dieser Allegorie kamen die vier Jahreszeiten vor. Die zwei ältern Töchter machten den Winter und den Sommer; die dritte, ein gutmüthiges, aber etwas sehr umfang- und blatternarbenreiches Fräulein in der schönsten Blüthe des Schwabenalters machte den Herbst, und die jüngste – meine Flamme – den Frühling. Für den Frühling hatte ich die schönsten Verse gemacht. „Lenze,“ „Kränze;“ „Seele,“ „Philomele;“ „Rosenblüthe,“ „Herzensgüte“ und noch viele andere Reime, die das Ohr ergötzen und das Herz erweichen, wechselten in diesen Versen melodisch ab. Die Mutter stellte die Ewigkeit vor, denn sie wollte durchaus auch eine Rolle haben. Die männlichen Enkel waren Cherubim, die weiblichen waren Seraphim. Ich selbst war Kronos. Jeden Abend, nachdem der Alte zu Bett gegangen war, wurde Probe gehalten. Es ging Alles ganz vortrefflich. Die Ewigkeit hatte zwar einen kurzen Athem und ein schlechtes Gedächtniß; allein sie hatte nur wenige Strophen zu sagen; außerdem war ich, die geflügelte Zeit, ihr stets zur Seite und konnte also souffliren, wenn ihr Gedächtniß noch kürzer wurde als ihr Athem. Die rauhe Jahreszeit hatte das meiste mimische Talent. Der blatternarbige Herbst konnte das R nicht ganz deutlich aussprechen; ich strich also die überflüssigen Schnarrlaute. Der Sommer sprach Anfangs viel zu schnell; allein es gelang endlich doch, ihm diesen

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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 083. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/87&oldid=- (Version vom 13.9.2021)