Jawohl. – Verth.: Haben Sie über den Prozeß gesprochen? – Zeugin: Jawohl.
Verth.: Dann frage ich die Zeugin, weshalb Sie heute früh geweint hat? – Zeugin: Ich habe nicht geweint.
Verth.: Als ich heute früh durch den Korridor ging, habe ich die Zeugin, als sie mit der Marie Küppers sprach, weinen sehen, die Zeugin hat sich die Augen gewischt und hatte ein ganz rothes Gesicht. – Zeugin: Das ist eine Lüge, ich habe nicht geweint. – Verth.: Ich denke, daß der Herr Präsident mich vor solcher Beleidigung schützen wird.
Präs.: Zeugin, ich muß Ihnen bemerken, daß Sie sich dem Herrn Vertheidiger gegenüber nicht derartiger Redensarten bedienen dürfen. Ein gebildeter Mensch sagt: „das ist ein Irrthum“.
Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich habe noch zu bemerken, daß, wie mir berichtet wird, auf dem Korridor fortwährend Zeugenbeeinflussungen stattfinden; ich ersuche daher den Herrn Präsidenten, Vorkehrungen zu treffen, daß dies verhütet wird.
Die folgende Zeugin ist Fräulein Marie Küppers. Diese bekundet: Helene Bräuer habe sie gefragt, was Siegmund Isaak denn in ihrem Garten gemacht habe, dieser habe ihr erzählt, daß er sich den Tabak im Garten angesehen habe. – Präs.: Haben Sie eine derartige Mittheilung dem Mallmann gemacht? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Haben Sie dem Mallmann gesagt: Sie hätten den Isaak am Peter-Paulstage Nachmittags in Ihrem Garten gesehen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Mallmann, was sagen Sie zu der Bekundung dieser Zeugin? – Mallmann: Ich habe die Zeugin so verstanden, wie ich es bekundet habe.
Präs.: Fräulein Küppers, haben Sie heute früh auf dem Korridor mit der Bräuer über den Prozeß gesprochen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Hat die Bräuer geweint? – Zeugin: Nein.
Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich war der Meinung, daß die Bräuer geweint habe, jedenfalls war sie auffallend roth im Gesicht und wischte sich die Augen aus.
Präsident: Herr Rechtsanwalt, Sie behaupteten positiv, daß die Zeugin geweint hat. Es wäre besser, wenn Sie die Behauptung nicht in der bestimmten Form gethan hätten, dann wäre uns das Vorkommniß von vorhin erspart geblieben. – Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich muß um Verzeihung bitten, ich war der bestimmten Meinung, daß das Mädchen geweint habe.
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)