Fanatismus und Mangel an Bildung vorgeworfen. Es ist mir nahe gelegt worden, dem Berichterstatter dieser Zeitung die Eintrittskarte zu entziehen, da es nicht schicklich ist, daß Jemand, der als Gast hier zugelassen ist, das ihm gewährte Vorrecht in dieser Weise mißbraucht. Ich habe diesen Vorschlag abgelehnt, da ich der Ansicht bin, daß Jeder das Recht hat, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Ich bemerke aber, daß das Urtheil des betreffenden Herrn Korrespondenten durchaus unzutreffend ist. Ich bin seit etwa 3 Jahren hier und kann versichern, daß ich die hiesige Bevölkerung achten und schätzen gelernt habe. Ich bedauere daher umsomehr, daß ein solches Urtheil in die Welt geht. Ich hatte seit meiner hiesigen Thätigkeit die Ehre, sowohl in der Strafkammer, als auch vielfach bei den Schwurgerichtsverhandlungen den Vorsitz zu führen, und ich kann bekunden, daß ich in der Stadt und im Kreise Cleve ebensoviel Intelligenz und Bildung gefunden habe als in anderen, selbst in sehr großen Städten. Den Fanatismus will der Herr Korrespondent entnommen haben aus dem Umstande, daß, als der kleine Siegmund Buschhoff als Zeuge den Saal betrat und Vater und Sohn weinten, in den Augen des Publikums keinerlei Mitleid, sondern nur fanatischer Haß gegen die Juden zu erblicken war. Ich habe kein so scharfes Auge, um den Leuten anzusehen, ob sich in ihren Augen Mitleid oder Judenhaß kundgiebt, allein angenommen, es wäre der Fall gewesen, dann ist zu erwägen, daß der Zuhörerraum für etwa 100 Personen bemessen ist und daß 100 Leute noch zu keinerlei Schlußfolgerung auf eine Bevölkerung von 20–30 000 Seelen, die zu Cleve und einstündigem Umkreise gehören dürften, gestatten. Ich kann aber die Versicherung abgeben, daß der Bevölkerung von Cleve und Umgegend jeder Fanatismus fernliegt. Ich mache mich anheischig, mit Buschhoff in dem ganzen Clever Kreise von Haus zu Haus bis in die kleinste Hütte zu gehen und würde die Garantie übernehmen, daß dem Buschhoff auch kein Haar gekrümmt werden würde. – Ich ersuche alsdann den Berichterstatter Herrn Hugo Friedlaender wieder einmal vorzutreten. Sie erinnern sich, meine Herren, daß ich Veranlassung genommen habe, Herrn Friedländer auf einen in seinem Bericht vorgekommenen Irrthum aufmerksam zu machen. Herr Friedländer versicherte, daß dieser Irrthum durch die Schuld eines Setzers vorgekommen ist. Ich habe mich nachträglich überzeugt, daß der Irrthum in der That nicht durch die Schuld des
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/93&oldid=- (Version vom 31.7.2018)