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Der Normalarbeitstag der Justiz.

Der Normalarbeitstag ist eine uralte Forderung der Arbeiter. Die ersten Bestrebungen zur Einführung eines gesetzlichen Normalarbeitstages hat England aufzuweisen. Lord Ashley brachte 1833 ein Gesetz ein, wonach die Arbeitzeit der Erwachsenen auf täglich zehn Stunden beschränkt werden sollte; das Gesetz wurde aber verworfen. In Nordamerika wurden 1840 und 1868 Versuche zur Einführung eines Normalarbeitstages für die Handwerker der Regirungstätten gemacht. Ein französisches Gesetz vom neunten September 1848 verfügte: das Tagewerk des Arbeiters in Fabriken und Hüttenwerken darf zwölf Stunden wirklicher Arbeit nicht übersteigen. In einigen Staaten Nordamerikas und in den australischen Kolonien ist der achtstündige Normalarbeitstag gesetzlich durchgeführt. Die Verkürzung der Arbeitzeit ist nicht nur eine Forderung der Sozialdemokraten. Die Arbeiter aller Parteien erstreben einen gesetzlich eingeführten Normalarbeitstag. Die kulturelle Bedeutung der Verkürzung der Arbeitzeit ist nicht zu verkennen. Sie gewährt den Arbeitern Zeit zur Erholung und geistigen Ausbildung und kräftigt das Familienleben. Diese Bewegung macht auch in allen Kulturländern Fortschritte. Selbst viele Arbeitgeber sind Freunde der Arbeitzeitverkürzung, seit sie eingesehen haben, daß der Betrieb und die Waarenerzeugung nicht nur nicht darunter leidet, sondern im Gegentheil gefördert wird; denn zweifellos arbeiten Leute, denen Zeit zur Erholung und Ausbildung gelassen wird, mit mehr Fleiß und Sorgfalt. Daß diese Behauptung nicht nur für körperlich, sondern auch für geistig arbeitende Menschen gilt, ist klar. Die englische Geschäftszeit, die auch in Deutschland in vielen kaufmännischen Betrieben, sogar in Regirungämtern durchgeführt ist, bedeutet den ersten Anfang einer Arbeitzeitverkürzung. In allen Berufen strebt man nach einer Arbeitzeitverkürzung; nur im Reich der Frau Justitia sind solche Bestrebungen fremd. Das ist um so bedauerlicher, als in der Rechtsprechung doch vor allen Dingen größte Sorgfalt geboten ist. Die ist aber unmöglich, so lange aus ökonomisch-fiskalischen Gründen an Richterpersonal gespart wird. Schon im Oktober 1881 sagte mir der (inzwischen verstorbene) Landgerichtsdirektor Bachmann, der damals der Ersten Strafkammer des Landgerichtes Berlin I vorsaß, seine Kammer habe so viele spruchreife Sachen zu erledigen, daß er einige für Mitte Dezember angesetzt habe. Ein solches Gericht, meinte Bachmann, ist einfach bankerot. Dabei hat die Kammer nicht etwa gefaulenzt. Bis in die späte Nacht wurde im Namen des Königs Recht gesprochen. Zeugen, die zu elf Uhr vormittags geladen waren, harrten gegen sieben Uhr abends noch des Aufrufes. Seit dieser Zeit ist es aber nicht nur bei den berliner Gerichten, sondern wohl in ganz Deutschland noch viel schlimmer geworden.

Die Kriminalgerichte arbeiten mit allzu hastigem Fleiß. Durch solche Ueberanstrengung muß die Rechtspflege schließlich leiden. Selbst die Laienrichter (Schöffen und Geschworene), die doch selten gewöhnt sind, längere Zeit geistig thätig zu sein, müssen vielfach von frühem Morgen bis in die späte Nacht ihres Richteramtes walten. Dabei handelt sichs für den Angeklagten zwar nicht immer um Leben und Tod; auch ein Monat Gefängniß oder eine noch geringere Strafe kann aber das Glück und die Existenz einer ganzen Familie vernichten. Auch Berufsrichter sind Menschen. Wenn eine Strafkammer von neun Uhr morgens mit einer kleinen Pause bis in die späte Nacht arbeitet, dann ist kaum denkbar, daß die Richter noch die erforderliche

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Der Normalarbeitstag der Justiz. Verlag der Zukunft, Berlin 1908, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Normalarbeitstag_der_Justiz.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)