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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

noch die Tür offengelassen. Der Herr Erste Staatsanwalt erwähnte eines Prozesses, der mir nicht einmal dem Namen nach bekannt ist, der den Beweis erbracht habe, daß Mörder, die verschiedenen Geschlechtern angehören, gewöhnlich nach der Tat sich um so mehr zueinander hingezogen fühlen. Jedenfalls hat die Beweisaufnahme trotz klatschsüchtiger, mit Schimpf und Schande weggejagter Dienstboten und liebender Geschwister, die die eigenen Kinder der Angeklagten bestimmten, Zeugnis gegen ihre Mutter abzulegen und sie zu instruieren, damit die Kinder dazu beitragen, daß die Mutter dem Henker überliefert werde und die einen Familienrat abhielten, um die Schwester ins Irrenhaus stecken zu lassen, das Vorhandensein eines Liebesverhältnisses zwischen Rieß und der Angeklagten nicht erwiesen. Es ist auch in keiner Weise erwiesen, daß Rieß, der verheiratet und Vater dreier Kinder war, mit anderen Frauen strafbaren Umgang gehabt habe. Ebensowenig ist eine solche Handlung von der Angeklagten bewiesen. Es ist allerdings von liebenden Geschwistern behauptet worden, die Angeklagte habe in Pillau mit einem Wallmeister ein strafbares Verhältnis unterhalten. Ich habe die Überzeugung, daß die königliche Staatsanwaltschaft auf diese Behauptung selbst keinen Wert gelegt hat, denn es wäre der Staatsanwaltschaft bei ihren Machtmitteln ein leichtes gewesen, diesen Wallmeister zur Stelle zu schaffen. Nun könnte man sagen: die Angeklagte wollte ihren Mann los werden, weil sie von ihm mißhandelt wurde. Abgesehen davon, daß wir nicht gehört haben, daß in den letzten drei Monaten vor dem Morde eine Mißhandlung der Angeklagten seitens ihres Mannes stattgefunden hatte, so hatte die Angeklagte, wenn sie ihren Mann los werden wollte, nicht nötig, ihren Gatten, den Vater ihrer fünf Kinder, meuchlings niederschießen zu lassen, sie hätte mit Erfolg die Ehescheidungsklage einleiten können, und ihr Mann wäre für den schuldigen Teil erklärt worden. Ich bin der Meinung: hätte die Angeklagte

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/101&oldid=- (Version vom 1.8.2018)