Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10 | |
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zu lassen. Später wuchs das Verfahren dahin aus, daß eine stete Halbierung der Leckereien erfolgte. Hedwig Müller schilderte alsdann, daß sie im Sommer 1912 zu der Erkenntnis gekommen sei, Georg Reimann sei in einem ungünstigen Milieu groß geworden und lebe noch in diesem Milieu. Es tat ihr deshalb ungemein leid um den Jungen, den sie nicht einen Augenblick für schlecht gehalten habe. Sie fuhr dann fort: „Er hatte auf meine Veranlassung eine Sparkasse bei mir angelegt. Während des Sparens revidierte ich häufig scherzend seine Jackettasche. Bei dieser Gelegenheit gelangte ich in den Besitz seines Taschenbuches, das ein Sammelbuch der Erotik in Wort und Bild bot. In seiner Abwesenheit schnitt ich sämtliche Blätter heraus und zerschnitzelte dieselben ganz klein. Ich gab ihm das Buch nach seiner Rückkehr; er geriet in eine maßlose Wut. Ich nahm ihn mir an dem Tage vor und erklärte ihm, daß das doch sehr häßlich gewesen sei. Er versprach mir in die Hand, es zu unterlassen. Erst im Februar 1913 wollte es ein Zufall, daß ich sah, daß wieder eine der scheußlichsten Aufzeichnungen vermerkt war.“ Weiter hieß es: „Reimann hat oftmals meine postlagernde Korrespondenz befördert und abgeholt. Ich habe niemals geglaubt, Reimann könne an dem harmlosen Inhalt der Korrespondenz Interesse haben. Erst als ich meine Briefe wieder selbst beförderte, wollte er Einsicht in sie haben, was ich verwundert ablehnte. Da erst sagte er mir, daß er stets den Inhalt des Briefwechsels gebucht und mir eine Suppe einbrocken werde, an der ich zu löffeln hätte. Es war mir natürlich unangenehm, daß irgendein Gerede entstehen sollte, was meine Stellung beeinflussen könne. Ich bat ihn, doch vernünftig zu sein und den Mund zu halten. Er versprach dies gegen weitere Einsicht. Ich ging endlich darauf ein, wußte es aber so einzurichten, daß er meine Briefe überhaupt nicht sah. Die Briefe, die ich morgens abhob, verschwanden im Korsett oder Strumpf. Ein Knistern hatte aber einmal
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/219&oldid=- (Version vom 15.2.2023)