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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

große Überlastung, geringe Lebensfreude und Verdruß über die verschmähte Liebe zurück. Denn das war mir ja mittlerweile sehr klar geworden. Ich versuchte durch vergrößerte Freundlichkeit und Güte, ihn zu besänftigen, was auch gelang. Natürlich wurde er dadurch bei mir wieder mit mehr Mitleid umgeben. Ich hatte das Empfinden, daß es bei ihm genau so zerrissen aussehen mußte wie bei mir, und daß er nur roher und ein Junge sei, der nie versucht hatte, sich zu beherrschen. So kam der Oktober heran, der ein Jubiläum meines Chefs brachte. Gelegentlich dieses Festessens, zu dem ich eingeladen war, hörte ich plötzlich, daß man den Reimann stark im Verdacht hatte, Bücher beiseite geschafft zu haben. Das stieg mir doch in die Krone. Es schien mir unmöglich und brachte ihn mir wieder einen Schritt näher. Sowie Gelegenheit war, zog ich ihn ins Vertrauen und bat ihn dringend, mir die Wahrheit zu sagen. Ich bot ihm an, falls er es getan, Fürbitte für ihn einzulegen, aber er sollte es doch sagen, es würde sicher nichts geschehen. Er war sehr erregt, weinte heftig an meiner Schulter und versicherte, es nicht gewesen zu sein. Die Sache war für mich erledigt, und er blieb. Es dauerte aber nicht lange. Der Freudenrausch über ‚meine unendliche Güte‘ war noch nicht vorüber, da begannen seine Rohheiten wieder mit elementarer Gewalt. Es verging kein Tag ohne die widerwärtigsten Szenen. Er quälte mich mittags, wenn wir allein waren, mit seinem albernen Liebesgewäsch und schlug wie ein Toller mit dem Kopf auf den Packtisch, wenn ich nicht reagierte. Es brach natürlich bei mir die ganze Nervosität hervor und ließ mich dies Gebaren weit schmerzlicher empfinden. Es genügte eine augenblickliche Zärtlichkeit, ein Bedauern, wie z. B. ‚mein armer Jorg‘, oder ‚dummer kleiner Junge‘, um ihn wieder zu beruhigen.

Da plötzlich trat er mit der Forderung an mich heran, der Sache ein Ende zu machen mit einem einmaligen Schweigegeld in Gestalt meiner Person. Ich hielt ihn für

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/221&oldid=- (Version vom 16.2.2023)