Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10 | |
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Den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft im besonderen und den Fortschritten der Kultur im allgemeinen ist es zu danken, daß Irrsinnige als kranke Menschen und nicht mehr, wie in früherer Zeit, als vom Teufel Besessene behandelt werden. Ich nehme an, daß die mittelalterliche Anschauung, Irrsinnigen muß der böse Geist durch heftige Prügel ausgetrieben werden, nirgends mehr angewendet wird.
Vor achtzehn Jahren, in dem Prozeß wider Mellage, und Genossen, der vom 30. Mai bis 8. Juni 1895 die Strafkammer zu Aachen beschäftigte (siehe ersten Band), wurde festgestellt, daß in dem Laien-Mönchskloster „Mariaberg“ bei Aachen Irrsinnige, wenn auch nicht verbrannt, aber heftig geschlagen, zum Teil sogar totgeschlagen wurden, weil die Klosterbrüder, die sich „Alexianer“ nannten, der Ansicht waren, die Kranken seien vom Teufel besessen. Der damalige Aachener Regierungspräsident hatte gegen die Kritiker dieser schauderhaften mittelalterlichen Vorkommnisse nichts Besseres zu tun, als den Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen. Die Humanität hat jetzt zweifellos auch in den Irrenanstalten eine Stätte gefunden. Ich nehme an, daß die vielfachen Klagen über schlechte Behandlung in den Irrenhäusern zumeist auf Einbildung der Kranken beruhen. Jedenfalls ist ein Reichsirrengesetz, das selbst von hervorragenden Psychiatern, wie von dem Oberarzt an der Irrenheilanstalt „Berolinum“ in Steglitz bei Berlin, Herrn Dr. Otto Juliusburger u. a. gefordert wird, eine dringende Notwendigkeit. Wenn ich es auch für ausgeschlossen
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/270&oldid=- (Version vom 3.10.2022)