Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/97

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

Ersten Staatsanwalts in der Verhandlung nicht mit einem Wort erwähnt worden ist. – Der Vorsitzende bestätigte das.

Der Erste Staatsanwalt fuhr alsdann fort: Als Referendar Wolff an jenem Augustabend zu Adameit ging, da riet er ihm, am folgenden Tage zu Herrn Rechtsanwalt Lichtenstein und zu Herrn Superintendenten Lackner zu gehen. Herr Referendar Wolff wußte, daß, wenn die Zurückziehung des Zeugnisses des Adameit Wert haben solle, es nicht genüge, daß Adameit bloß ihm gegenüber seine Beschuldigungen zurückzieht. Meine Herren Geschworenen! Ich will mich kurz fassen und eile zum Schluß. Ich erwähne noch, daß die Angeklagte kurz vor dem Fallen des tödlichen Schusses in unruhiger Weise mehrfach die Vorhänge zurückschlug und zum Fenster hinaussah, so daß dieses Benehmen ihrem ermordeten Gatten auffiel und er sie fragte, weshalb sie fortwährend hinaussehe. Ich will nicht behaupten, daß die Angeklagte nachsah, ob Rieß bereits mit der Mordwaffe auf dem Gutshof stehe; zweifellos ist mir aber, daß die Angeklagte an jenem Abend eine ganz ungewöhnliche Unruhe an den Tag gelegt hat. Die Frau Busch und Ziegran haben allerdings bekundet: Sie haben am Mordabend einen Mann in verdächtiger Weise auf dem Gutshof stehen sehen, dieser sei aber kleiner und dicker als Rieß gewesen und habe einen schwarzen Schnurrbart gehabt. Diese höchst wichtige Wahrnehmung, die an die Mondscheinler in Irland erinnert, trugen die beiden Frauen zwei volle Jahre mit sich herum; sie ließen ihre Wohltäterin ganz ruhig im Gefängnis sitzen. Es ist für mich kein Zweifel: die beiden Frauen sind am Tage nach dem Morde zu der Angeklagten gelaufen und haben dieser ihre Wahrnehmungen mitgeteilt. Die Angeklagte sagte zu ihnen: „Kinder, macht mich nicht unglücklich und schweigt.“ Als aber das Belastungsmaterial sich häufte, da war es nicht mehr geraten, daß die Frauen länger schwiegen, sie mußten reden und bezeugen, daß der Mann, den sie gesehen haben und der zweifellos der Mörder war,

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)