Zum Inhalt springen

Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/11

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

Rücker, es ist Zeit zum Aufstehen, die Kirchenglocken läuten bereits, mit diesen Worten weckte die Wirtin den jungen Mann. Ängstlich schnellte dieser auf und rieb sich schlaftrunken die Augen. Haben Sie von dem furchtbaren Raubmord schon gehört, der gestern Nachmittag im Eisenbahnzug zwischen Altona und Klein-Flottbeck passiert ist, fragte die Wirtin. Es herrscht eine furchtbare Aufregung in der Stadt. Auf die Ergreifung des Mörders ist eine Belohnung von 1000 Mark ausgesetzt. Der junge Mann wurde leichenblaß, er vermochte kein Wort herauszubringen. Er sprang aus dem Bett und kleidete sich eiligst an. Fiebernd vor Angst riß er die Fenster auf. Da sah er mehrere Menschengruppen, die sich über den entsetzlichen Raubmord im Eisenbahncoupé, lebhaft die Hände zusammenschlagend, unterhielten. Eine dichte Menschenschar umlagerte eine öffentliche Anschlagsäule. Auf dieser prangte ein großes, feuerrotes Plakat vom Altonaer Polizeipräsidenten unterzeichnet. Es enthielt eine genaue Mitteilung von dem Raubmord im Eisenbahncoupé und eine ausführliche Beschreibung des mutmaßlichen Mörders, auf dessen Ergreifung 1000 Mark Belohnung ausgeboten wurden. Entsetzlich war dem jungen Mann dieser Anblick. Er schlug die Fenster zu und lief ruhelos im Zimmer auf und ab. Alsdann kleidete er sich vollständig an und verließ das Haus. Plan- und ziellos irrte er in den Straßen Altonas und Hamburgs umher; bei jeder Annäherung eines Konstablers erschrak er. Da faßte er den Entschluß – es war das erste Mal in seinem Leben – in ein Wirtshaus zu gehen. Kaum hatte er an einem Tische Platz genommen, da gesellten sich drei Altersgenossen zu dem so überaus sympathisch aussehenden jungen Mann. Obwohl er nur mit Widerstreben das bestellte Bier trank und einige Rundstücke aß – es war auch das erste Mal in seinem Leben – ließ er sich von seinen Freunden zureden, es noch mit einigen weiteren Schoppen zu versuchen. Der ungewohnte Alkoholgenuß verursachte ihm einen kleinen Rausch.

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/11&oldid=- (Version vom 31.7.2018)