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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1
Der falsche Hauptmann von Köpenick, Wilhelm Voigt

hatte Voigt den Soldaten Mittagessen geben lassen. Voigt, der am 13. Februar 1849 zu Tilsit geboren war, hatte sich am 1. Dezember 1906 vor der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin II wegen widerrechtlicher Freiheitsberaubung, Betruges, Urkundenfälschung, unbefugter Ausübung eines öffentlichen Amtes und unbefugten Tragens einer Uniform auf Grund der §§ 239, 263, 267, 268 Ziffer 1, 360 alin. 8, 132 und 73 des Strafgesetzbuches zu verantworten. Er war in vollem Umfange geständig. Er sei, so sagte er, genötigt gewesen, einen Gaunerstreich auszuführen, da, nachdem er im Februar 1906 aus dem Zuchthause entlassen war, er von der Polizei von Stadt zu Stadt gehetzt worden sei. Er habe in Wismar bei einem Hofschuhmachermeister lohnende Arbeit gefunden. Er sei dort, obwohl man seine Vergangenheit kannte, wie ein Familienmitglied behandelt worden. Sehr bald sei er aber von der Polizei aus ganz Mecklenburg ausgewiesen worden. Auch aus Berlin hatte ihn die Polizei ausgewiesen. Er wohnte deshalb unangemeldet in der Langenstraße 22 als „Schlafbursche“. Er konnte nirgends Arbeit finden, er habe deshalb beschlossen, die Militärbehörde gegen die Polizeibehörde auszuspielen.

Voigt bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden, Landgerichtsdirektors Dietz: er sei seiner Bestrafungen wegen nicht Soldat gewesen. Seine Eltern haben in Tilsit gegenüber der Dragonerkaserne gewohnt. Sein Vater, ein Schuhmachermeister, bei dem er das Schuhmacherhandwerk erlernt, habe viel für die Offiziere und Mannschaften gearbeitet. Er hatte daher Gelegenheit, viel in der Kaserne zu verkehren; dadurch habe er alle militärischen Kommandos kennen gelernt. – Die als Zeugen vernommenen Soldaten erklärten auf Befragen des Vorsitzenden: sie hätten auf Kommando des Hauptmanns auch von ihren Bajonetten oder Schußwaffen Gebrauch gemacht. – Trotzdem bleibt es ein Rätsel, daß Bürgermeister Dr. jur. Langerhans, ein Reserveoffizier, den Mann für einen richtigen Hauptmann halten konnte. Abgesehen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/145&oldid=- (Version vom 14.10.2016)