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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

Frau Wiese hatte zu Nachbarsleuten geäußert: ihr Mann erfreue sich nicht der besten Gesundheit. Wenn er sterben sollte und sie den Witwenschleier anlegen müßte, dann würde sie das von ihrem Mann hinterlassene Vermögen, das ihr alsdann zufiele, über den herben Verlust sehr bald zu trösten vermögen. Dieser Herzenswunsch seiner liebenswürdigen Gattin war dem Mann zu Ohren gekommen. Von Stunde ab wurde er mißtrauisch, und zwar um so mehr, da verschiedene Speisen und Getränke, die ihm seine Gattin zubereitet hatte, ihm verdächtig erschienen. Es wurde ihm nämlich häufig nach dem Essen unwohl; er mußte sich erbrechen und bekam einen starken Hustenreiz, so daß ihm das Blut aus der Nase quoll. Einmal war der Kaffee in seiner Kaffeeflasche ganz bitter und hatte einen fauligen Geschmack. Als er nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: Ich glaube, du willst mich vergiften, ich werde den Kaffee untersuchen lassen. Frau Wiese riß dem Mann in voller Entrüstung die Kaffeeflasche aus der Hand und goß den Inhalt aus. Frau Wiese hatte auch wiederholt den Versuch unternommen, ihrem Mann des Nachts, während er schlief, mit einem Rasiermesser den Hals zu durchschneiden. Dies Verfahren wurde nur dadurch vereitelt, daß der Mann Verdacht schöpfte und die ganze Nacht wachgeblieben war. Frau Wiese hatte eine außerehelich geborene, sehr hübsche Tochter, namens Paula Berkefeld. Das Geschäft des Kindermnordens mag wohl bisweilen gestockt haben, die Megäre war daher bemüht, ihre junge, bildschöne Tochter in die Anne des Lasters zu treiben, um sich auch dadurch eine Erwerbsquelle zu verschaffen. Sie erließ in verschiedenen Zeitungen Annoncen folgenden Inhalts: „Eine junge Dame bittet einen edeldenkenden Herrn um 30 Mark Unterstützung gegen dankbare Rückzahlung.“ Anfänglich wurde die volle Adresse, später nur die Chiffer hinzugefügt. Infolge dieser Annonce meldeten sich Herren, die sich unter gewissen Umständen bereit erklärten, die gewünschte Unterstützung zu zahlen. Frau Wiese

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/163&oldid=- (Version vom 1.8.2018)