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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

1850 geboren und katholischer Konfession, war bereits wegen Anstiftung zum Diebstahl, Hehlerei, Urkundenfälschung, Betruges, Betrugsversuchs und Kuppelei mit Gefängnis und Ehrverlust bestraft. Sie war eine mittelgroße, schlanke Frau. Sie hatte ein speckgelbes Gesicht, eingefallene Wangen, eine lange Habichtsnase und kleine stechende Augen. Sie machte ganz den Eindruck einer „Hexe“, mit der man Kinder graulich machen konnte. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landrichter Dr. Crasemann. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Hollender, die Verteidigung als Offizialverteidiger führte Rechtsanwalt Dr. Bleckwedel, Hamburg. Die Angeklagte, die sich mit großer Zungenfertigkeit verteidigte, bestritt alles. Die ihr übergebenen Kinder seien zum Teil zu sehr feinen Herrschaften ins Ausland gekommen, teils müßten sie von anderen Frauen, denen sie die Kinder übergeben habe, ermordet worden sein. Sie beschuldigte insbesondere eine Frau Miosga, zwei ihr übergebene Kinder ermordet zu haben. Sie habe eines Tages auf dem Boden der Miosga ein großes Paket gesehen, das nach Leichen roch. Auf ihre Frage habe Frau Míosga geantwortet: das Paket enthalte fauliges Schíffsfleisch, sie werde es abends in die Elbe werfen, Sie (Angeklagte) habe sich des Abends auf die Lauer gelegt und gesehen, daß die Miosga das Paket in die Elbe geworfen habe. — Die Verhandlung ergab, daß tatsächlich in dem Paket fauliges Schíffsfleisch, aber nicht menschliche Leichen enthalten war. Höchst dramatisch gestaltete sich die Vernehmung der Paula Berkefeld (unehelichen Tochter der Angeklagten) und auch des Gatten der Angeklagten, des Kesselschmiedes Heinrich Wiese. Paula Berkefeld, ein schlankes, auffallend blasses, sehr hübsches Mädchen von 22 Jahren, war zurzeit Dienstmädchen bei einem Dr. Goldschmidt in London. Sie würdigte die Mutter nicht eines Blickes und sagte immer: „Die Wiese“. — Vors.: Weshalb sagen Sie immer „Die Wiese“? Die Angeklagte ist doch Ihre Mutter? — Zeugin: Ich kann diese Frau nicht

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/165&oldid=- (Version vom 1.8.2018)