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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/42

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

zwingen, sondern lediglich durch die Macht der Gründe und Tatsachen. Denken Sie daran, wie man den Grafen, der sich unbeobachtet wähnte, kniend am Bette des Knaben, und ihn herzend und mit ihm spielend, vorfand. Das ist die Stimme der Natur. Auch der Umschwung der öffentlichen Meinung ist zweifellos hervorgerufen durch die Macht der Tatsachen, durch die Beweisaufnahmen. Wenn Sie den Richterspruch in Übereinstimmung mit dieser öffentlichen Meinung fällen, dann folgen Sie ihr nicht, sondern zeigen nur, daß Sie richtig und zutreffend die Tatsachen erfaßt haben. Ich zweifle nicht, daß nach dem Resultat der Beweisaufnahme das einzige Wort, das Sie, meine Herren Geschworenen, auf die Schuldfrage sprechen werden, das Wort „Nein!“ ist.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Eger (Posen) suchte den Nachweis zu führen, daß das Geständnis der Angeklagten Ossowska sowohl gegen sie selbst als auch gegen die anderen Angeklagten als Beweismittel ausscheide. Es fehlen alle Beweggründe, die bei einem richtigen Geständnis vorhanden zu sein pflegen. Ich hoffe daher auf einen Freispruch meiner Klientin. –

Verteidiger Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner: Wenn die Gräfin alles das, was auf sie hier eingestürmt ist, mit so großer Ruhe ertragen hat, so dankt sie es ihrem unerschütterlichen, felsenfesten Gottvertrauen. Als wir Verteidiger der Gräfin am Sonnabend den letzten Besuch im Gefängnis machten, fanden wir sie förmlich verklärt, strahlend. Sie sagte uns: „Heute wird in den Kirchen für mich gebetet; meine Unschuld wird an den Tag kommen, mir wird kein Haar gekrümmt werden.“ Still verließen wir das Untersuchungsgefängnis. Draußen sagte einer von uns: „Wie glücklich wären wir, wenn wir auch ein solches Gottvertrauen hätten.“ Der Herr Staatsanwalt hat geglaubt, eine Lanze für das Majorat brechen zu müssen. Wir haben gesehen, wie das Majorat nicht nur die Bande der Familie sprengt, sondern sogar demoralisierend wirkt. Als bekannt wurde, daß nach

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)