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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

Land“ einen Aufruf an die Bevölkerung erlassen, die Tätigkeit der Behörde nicht durch religiöse Erregungen zu stören. Leider hatte diese meine Bitte keinen Erfolg. Ich hoffe, daß, wenn die religiöse Erregung sich wieder gelegt und die Behörde in der Lage ist, klar zu sehen, es doch noch gelingen wird, den wirklich Schuldigen zu ermitteln.

Es ist gesagt worden, die Sache bleibt unaufgeklärt, weil es sich um einen Juden handelt. Nein, meine Herren Geschworenen! nicht weil es sich um einen Juden handelt, ist die Sache unaufgeklärt, sondern weil die Sache unklar ist, deshalb hat man zu einem Juden gegriffen. Man behauptete: es ist von einem Juden ein Ritualmord begangen worden. Dazu bedarf es keiner weiteren Motive, es bedarf bloß allgemeiner Verdächtigungen. Allein Sie, m. H. Geschworenen, haben die Pflicht, alles, was außerhalb dieses Saales vorgeht, unbeachtet zu lassen, sondern lediglich auf Grund der Tatsachen, die Sie selbst mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört, Ihr Urteil abzugeben.

Auf Grund der Beweisaufnahme kann ich nicht anders als aus Pflicht und Gewissen den Antrag auf Nichtschuldig stellen. Ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie den Angeklagten frei.

Verteidiger Rechtsanwalt Stapper (Düsseldorf) führte aus: Wenn Ihr Urteil, woran ich nicht zweifle, auf Nichtschuldig lautet, dann wird dieser Tag ein Ehrentag für Sie sein, denn Sie geben einem anständigen, schwer geprüften Manne die Freiheit, einer Familie den Gatten und Vater, einer Gemeinde ein Mitglied wieder, das bisher in der unerhörtesten Weise dem Haß und der Verfolgung eines urteilslosen Pöbels ausgesetzt war. Sofort als die Tat entdeckt wurde, stand es bei der Menge fest: es müsse ein Ritualmord geschehen sein. Das alte, mittelalterliche Märchen, das man schon längst begraben glaubte, war wieder aufgetaucht. Die Hauptsache war, daß Dr. Steiner feststellte, daß kein Blut oder zu wenig Blut bei der Leiche gefunden

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)