Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1 | |
|
Rheindorf hatte jedoch dies Schreiben nur an den Erzbischof gerichtet, um durch List aus dem Kloster zu entkommen. Er begab sich zu einem Freunde nach Iserlohn. Von letzterem wurde er einem Rechtskonsulenten und Schriftsteller, namens Heinrich Mellage, zugeführt. Dieser war bemüht, die vollständige Freilassung des Vikars aus „Mariaberg“ bei dem Erzbischof zu bewirken. Die Bemühungen Mellages hatten auch schließlich den Erfolg, daß der Vikar auf Verfügung des Erzbischofs in dem Mariahospital zu Rathingen bei Düsseldorf Aufnahme fand, und später wieder als Geistlicher in Köln angestellt wurde. Vikar Rheindorf erzählte außerdem dem Mellage: im Kloster Mariaberg herrschten heillose Zustände. Die Kranken würden von den Brüdern in furchtbarer Weise mißhandelt, das Essen sei miserabel. In dem Kloster befinde sich schon seit 39 Monaten ein schottischer Geistlicher. Dieser, der auf Befehl seines Bischofs nach dem Kloster „Mariaberg“ gesandt wurde, sei für geisteskrank erklärt worden, obwohl er vollständig geistig gesund sei. Beweis hierfür sei, daß er die Messe lese und Andachten abhalte. Dieser Geistliche, der ebenfalls von den Brüdern mißhandelt werde und dem jeder Verkehr mit der Außenwelt vollständig abgeschnitten sei, sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Er (Rheindorf), der die englische Sprache beherrsche, sei der einzige Mensch in dem Kloster gewesen, der sich mit dem Schotten unterhalten konnte. Er habe letzteren in seinen Plan eingeweiht. Da habe der Mann gesagt: „Wenn du in Freiheit bist, lieber Bruder, dann gedenke deines Bruders, der hier seit 39 Monaten in schrecklichster Gefangenschaft schmachtet, obwohl ich nichts Unrechtes begangen habe. Vielleicht kannst du mich auch befreien.“ Mellage wandte sich daraufhin an die Staatsanwaltschaft in Aachen. Diese wies ihn an die Polizei. Mellage begab sich infolgedessen am 30. Mai 1894, in Begleitung des Aachener Polizeikommissars Lohe und des Aachener Hoteliers Ohse in das Kloster Mariaberg. Ohse war der englischen Sprache
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)