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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Blümkes bleiben zu können, wenn sie bestritt, daß mit ihr irgend etwas Unsittliches passiert sei, denn dann habe der Vormund keine Veranlassung, sie in eine Besserungsanstalt zu bringen. Vielleicht ist auch das alte Wort: „Schweigen ist Gold!“ nicht ohne Einfluß auf das Mädchen gewesen, vielleicht hofft sie auf die spätere Dankbarkeit Sternbergs, vielleicht sind ihre Reden von der Erbschaft, von dem späteren Besuch der hohen Schule nicht eitle Luftschlösser, sondern haben einen realen Untergrund. Erst im letzten Sommer hat sie von der Erbschaft gesprochen. Das ist vielleicht nicht, wie die Sachverständigen meinen, ein Ausfluß ihrer Kunst zum Fabulieren, sondern der unvorsichtige Ausdruck der Hoffnungen, welche Frida bewegen. Wenn man nun fragt, welche Gründe die Frida haben kann, ihre frühere Aussage vollständig umzuwerfen, so könnte man ja antworten: das Mädchen stelle sich jetzt als ein reuiges Kind dar, welches bereut, daß es durch Lügen einen Menschen unglücklich gemacht hat, und nun die Wahrheit sagen will. Wer schon jemals einen reuigen Menschen gesehen hat, der weiß, daß ein solcher Mensch ganz anders aussieht wie Frida Woyda! Es liegt auch gar kein Anhalt dafür vor, daß Frida Woyda von außen her, von dritter Seite, zur Reue gebracht worden ist, man weiß davon nichts aus der Zeit, wo sie im Waisenhause, nichts aus der Zeit, wo sie bei Blümkes war. Wenn die Reue bei einem 13jährigen Mädchen durchbricht, dann äußert sie sich durch einen Tränenerguß, und ein solches Mädchen zeigt an ihrem Auftreten ein ganz anderes Wesen. Man sieht es ihr an, daß sie sich von einer Schuld und Last befreit habe, sie tritt dann frei und offen mit ihren Bekundungen hervor. Beispiele dieser Art hat ja die Verhandlung gezeitigt. Von der Ehlert will ich ganz absehen; ich brauche bloß an die Callis zu erinnern: diese hat gelogen, wochenlang gelogen, daß sich die Balken bogen, und erst, als sie vor dem Eide stand, hat sie der Wahrheit die Ehre gegeben und sich ganz frei und offen gezeigt. Ganz anders ist es mit der Frida Woyda! Sie hat keinen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/297&oldid=- (Version vom 1.8.2018)